Universalgenie und Metaphysiker
Zum 300. Todestag von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) legt der Journalist Eike Christian Hirsch eine überarbeitete Neuauflage seiner spannenden Leibniz-Biographie vor. Sie geht der Frage nach, warum der Philosoph, Mathematiker und politische Berater eigentlich so berühmt wurde. Selbstverständlich war das keineswegs.
Leibniz wird 1646, also noch während des Dreißigjährigen Kriegs, in Leipzig als Professorensohn geboren. Seine Studien beendet er bereits im Alter von 20 Jahren mit der Promotion. Als er am 14.11.1716 in Hannover stirbt, hat er die Epoche des Sonnenkönigs Ludwig XIV., die Türken vor Wien sowie die Krönung des Kurfürsten von Brandenburg zum preußischen König miterlebt.
Das philosophische Werk des Universalgenies ist überwiegend metaphysischen Charakters. Eine seiner berühmtesten Thesen, die bestehende Welt sei die beste aller möglichen, bedeutet nach Hirsch nicht, dass die Welt die beste sei, sondern eben nur die bestmögliche. Denn aus Leibniz’ Sicht schuf Gott die Welt und ihre Naturgesetze, greift in sie aber nicht mehr ein. Für das Schicksal und die Geschichte der Menschheit ist diese moralisch selbst verantwortlich.
Religion als innerweltliche Aufgabe
Als gläubiger Lutheraner versucht der Gelehrte die neuen Naturwissenschaften mit der Religion zu vereinen. Daher beschränkt er Glaubensfragen auf das Feld der Ethik. Es geht ihm dabei, schreibt Hirsch, um "moralische Vollendung statt jenseitige Belohnung". Damit trifft der Autor den Kern des philosophischen Erfolgs von Leibniz: Der Universalgelehrte gehört zu den ersten, die dem religiösen Glauben eine zeitgemäße, primär innerweltliche Aufgabe stellen.
Eine andere berühmte These von Leibniz unterstellt, die Welt bestehe aus nicht ausgedehnten, unteilbaren Substanzen, so genannten Monaden. Diese "spirituellen Atome" seien in sich abgeschlossen und kommunizierten daher mit ihrer Umwelt kaum oder gar nicht. Die Monaden spiegelten das Universum insgesamt, beziehungsweise dieses spiegle sich in jeder Monade.
Mehr Nachhall erzeugt Leibniz in der Mathematik. Mit dem Naturforscher Isaac Newton (1643-1727) streitet er darum, wer als Erster die Infinitesimalrechnung entwickelt habe. Er führt den Begriff der Funktion ein, ebenso den Doppelpunkt als Divisionszeichen, und entwickelt eine Rechenmaschine, deren Prototyp Erstaunliches leistet – der aber störanfällig ist. Zudem ist Leibniz vermutlich der Erste, der nur mit Nullen und Einsen rechnet, also digital. Als "Vater des Computers" sieht ihn Hirsch trotzdem nicht.
Von Bergbau bis Feuerversicherung
Leibniz bemüht sich sehr um die praktische Anwendung von Erkenntnissen. Im Harz sucht er, wenn auch vergebens, den Bergbau zu verbessern. Er plant Festungsanlagen und denkt sich ein Schnellfeuergewehr aus. Besonders erfolgreich ist er jedoch in ökonomischen Bereichen. Angesichts notorisch klammer Staatskassen ersinnt er Möglichkeiten, die von ihm in Berlin gegründete Akademie der Wissenschaften zu finanzieren. Er schlägt auch eine Feuer- und Hochwasserversicherung vor und legt damit, laut Hirsch, "als Mathematiker Grundlagen des Versicherungswesens und der Betriebswirtschaft".
Jahrzehntelang arbeitet der Universalgelehrte an einer Geschichte der Welfen, mit der ihn die Fürsten von Hannover beauftragt haben. Es ist die Hauptaufgabe in seiner dortigen Anstellung als Hofrat, von der er lebenslang zehrt. Doch als er stirbt, ist die Welfengeschichte nicht vollendet. Vor allem seine politischen Tätigkeiten scheitern. Von Jugend an träumt er davon, Fürsten zu beraten, um sie zu beeinflussen. Dieser Traum bringt ihn nach Mainz, Paris und Hannover, und ihn zu verwirklichen, darum bemüht er sich in London, Berlin und Wien. Er schreibt unzählige Denkschriften, die aber selten Beachtung finden. In diesem Zusammenhang schildert Hirsch das damalige Leben an den Fürstenhöfen sehr lebendig, so dass auch Laien einen Einblick in die politischen Verhältnisse dieser Zeit gewinnen.
Alles in allem präsentiert sich "Der berühmte Herr Leibniz" als lesenswertes Werk für ein breites Publikum.
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