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Kreative Maschinen

Künstliche Intelligenz schlägt Menschen nicht nur in Brettspielen. Inzwischen sind Computer sogar in der Lage, Gemälde, Lieder oder Gedichte zu erschaffen. Aber sind sie wirklich kreativ?

Das erste Buch des britischen Mathematikers Marcus du Sautoy, »Die Musik der Primzahlen«, hatte mich vor Jahren begeistert – und so griff ich gespannt zu seinem neuen Werk »Der Creativity Code«. Und gleich vorweg: Meine Erwartungen wurden keineswegs enttäuscht.

Vom euklidischen Algorithmus zu PageRank von Google

Die Kernfrage des Buchs steckt schon im Untertitel: Der Autor diskutiert, ob und inwieweit künstliche Intelligenz (KI) in der Lage ist, selbstständig Gemälde und Kompositionen kreativ zu erzeugen, literarische Werke (etwa Lyrik) sowie mathematische Theoreme samt Beweisen zu kreieren. Weil Software stets auf Algorithmen beruht, stellt der Autor diesen Begriff in den ersten Kapiteln in den Mittelpunkt. Wie eines der ältesten derartigen Verfahren überhaupt, der euklidische Algorithmus, funktioniert, beschreibt du Sautoy mit Hilfe geometrischer Visualisierung genauso plastisch und für Laien gut verständlich wie den aktuellen PageRank-Algorithmus, welcher der Google-Suche zu Grunde liegt.

Beide Verfahren sind aber nicht der KI zuzuordnen, die höhere menschliche Intelligenz erfordernde Probleme lösen soll. Die »klassische« KI versucht das durch einen Top-down-Ansatz zu schaffen: Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Schachprogramm DeepBlue, das 1997 erstmals den damaligen menschlichen Weltmeister bezwang. Unter Verwendung vieler gespeicherter Schachpartien berechnet der Computer mögliche Zugfolgen voraus.

Bei Go fällt die Zahl der möglichen Züge jedoch so groß aus, dass sich der Autor und die meisten Fachleute sicher waren, keine KI könne in den nächsten Jahrzehnten Ähnliches in diesem Spiel leisten. Ihre Vermutung wurde widerlegt: 2017 schlug das Programm AlphaGo mehrfach den weltbesten Spieler. Es basiert im Gegensatz zu DeepBlue auf dem Bottom-up-Prinzip des maschinellen Lernens: Ihm steht zwar auch eine riesige Datenbank von Go-Partien zur Verfügung, zudem lernt der Algorithmus aber selbstständig aus den Fehlern und verbessert so seine Spielstärke.

Noch innovativer ist das Nachfolgerprogramm: Es lernt ausschließlich anhand der Spielregeln – ohne jegliche weitere Kenntnisse. Indem es wiederholt gegen sich selbst antritt, kann es seine Fähigkeiten immer besser trainieren. Fachleute stellten erstaunt fest, dass der Algorithmus völlig überraschende, bisher unbekannte Strategien entwickelt hat. Du Sautoy erklärt, diese Fortschritte hätten seine Gewissheit, Computer würden niemals oder zumindest noch lange keine Kreativität entwickeln, ins Wanken gebracht.

Deshalb widmet er sich weiteren Bereichen, die beispielhaft für menschliche Kreativität stehen. Er untersucht, welche Fortschritte KI in den letzten Jahrzehnten in den Bereichen Malerei, Musik, Lyrik und Mathematik gemacht hat. Zusammenfassend kann man seinen ausführlichen Beschreibungen entnehmen, dass der Übergang von der klassischen KI zum so genannten Deep Learning zu beeindruckenden Fortschritten geführt hat.

Du Sautoy betont immer wieder, dass man diesen Sprung unter anderem der Ausdehnung des Internets verdankt. Denn die ersten Ideen für künstliche neuronale Netze, auf denen die Algorithmen des Deep Learning beruhen, entstanden schon in den 1950er und 1960er Jahren. Wegen mangelnder Rechenleistung und der fehlenden Datenmengen verbuchte der Ansatz aber lange keine durchschlagenden Erfolge. Erst durch das Internet stand genügend Trainingsmaterial zur Verfügung. »Daten sind das neue Öl«, zitiert der Autor mehr als einmal. Erst die digitale Verfügbarkeit von Gemälden aller Stilepochen, von Kompositionen und Gedichten aus der Musik- und Literaturgeschichte und von mathematischen Theoremen und Beweisen offenbarte die erstaunlichen Stärken dieser Programme. Aus all diesen Bereichen berichtet der Autor von gleichen Erfahrungen: Nicht einmal Experten konnten erkennen, ob die Ergebnisse von Menschen oder Maschinen stammten. 2018 verkaufte das Auktionshaus Christie's zum Beispiel erstmals ein von einer KI erstelltes Kunstwerk für 432 500 Dollar.

Insgesamt ist das Buch sehr lebendig geschrieben. Der Autor hat einen lockeren, zum Weiterlesen anregenden Stil, selbst die mathematischen Abschnitte sind unterhaltsam, und seine Erklärungen sind wunderbar einfach und klar. Zudem streut du Sautoy immer wieder Anekdoten ein: Häufig hat er die Protagonisten – etwa den Entwickler von AlphaGo oder den Künstler Gerhard Richter – selbst kennen gelernt und berichtet von seinen persönlichen Erfahrungen mit ihnen. Was die Musik angeht, kann der Autor anhand seiner musikalischen Kenntnisse einschätzen, welch enges Verhältnis zwischen den Algorithmen und Komposition besteht.

Das Buch beginnt mit einer Erinnerung an Ada Lovelace, die als erste »Programmiererin« des 19. Jahrhunderts zählt. Sie glaubte, man könne aus einer Maschine niemals mehr herausholen, als man in sie hineingegeben habe. Du Sautoy schlägt – in Anlehnung an den bekannten Turing-Test – einen Lovelace-Test vor: »Um den zu bestehen, muss ein Algorithmus ein kreatives Kunstwerk erschaffen.«

Haben im Buch behandelte Beispiele diesen Test schon bestanden? Der Autor schwankt in seinen Bewertungen. »Solange eine Maschine kein Bewusstsein hat, wird sie wohl nie mehr als ein Werkzeug zur Erweiterung der menschlichen Kreativität sein«, resümiert der Autor. Weiter aber heißt es: »Ich sehe kein grundsätzliches Hindernis, warum wir nicht irgendwann in der Zukunft eine bewusste Maschine herstellen können.«

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