»Der Diener des Philosophen«: Gefangen im Verhältnis von Herr und Knecht
Wenn ein Philosoph einen Roman über einen vor über zweihundert Jahren verstorbenen Philosophen schreibt, den wiederum ein philosophisch Vorgebildeter rezensiert, ist der Rezensent bei der Lektüre stets in der Gefahr, sich zu verzetteln. Er weicht unvermutet aus und macht sich auf die Spur von Anspielungen, Begebenheiten, Zitaten, also »historischen Wahrheiten« – und vergisst schließlich, den Roman als Roman zu lesen.
So erging es mir mit diesem Roman tatsächlich zunächst auch, der die Beziehung zwischen Immanuel Kant (1724–1804) und seinem Diener Martin Lampe (1734–1806) nicht zuletzt durch die Brille von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) einfängt. Dessen »Phänomenologie des Geistes« (1807) enthält ja das berühmte Kapitel über Herrschaft und Knechtschaft.
Aber es gilt: Auch dieser Roman will als Roman gelesen werden. Und da er ein guter Roman ist, legt er Spuren und ist offen für mehrere Lesarten. Er gibt den Lesern Rätsel auf, regt sie zum Denken an. Leser mit Humor werden sogar gelegentlich über manche Begebenheiten und Skurrilitäten schallend lachen müssen.
Von scheintoten Damen und anderen Spuren
Was hat es wohl auf sich mit Frau von Knobloch, die an einem literarischen Abend im Hause Kant teilnimmt, beim Hinausgehen die Treppe hinunterstürzt, scheintot nach Hause getragen wird, wo sie nur wenige Tage später aufwacht und in der Folge jeglichen Kontakt zu Kant abbricht? Dabei hatte Kant sich sogar noch Hoffnung gemacht, sie zu heiraten … Charlotte Amalie von Knobloch (1740–1804) gab es tatsächlich. Sie hat nur zwei Jahre nach dieser romantischen Begebenheit Friedrich Wilhelm von Klingsporn geheiratet, zwei Kinder geboren und ist im gleichen Jahr wie Kant verstorben. Kants Biografen erwähnen sie unter anderem als »wissbegierige Person«. Und es gibt einen Brief von Kant an sie, der in einigen Kant-Ausgaben in der Schrift »Träume eines Geistersehers« (eine Kritik an Emanuel Swedenborg, 1688–1772) mit abgedruckt ist. Mehr nicht! Solche Spuren legt der Autor gern; sie verlaufen meist im Sande. Als Leser ist man aber leicht versucht, sie zu verfolgen.
Der Roman ist vielstimmig erzählt: Es gibt den allwissenden auktorialen Erzähler, dazu zwei personale Erzählerperspektiven aus der Sicht von Kant und seinem Freund Ehregott Andreas Christoph Wasianski (1755–1831); und es gibt den Diener Marin Lampe als Ich-Erzähler. Dem Roman fehlt jegliche Chronologie. Er springt zwischen den Zeiten hin und her, beginnt mit Kants Beerdigung, schildert dann einen Ausflug mehr als 40 Jahre zuvor und wechselt scheinbar beliebig Zeiten und Erzählperspektiven. Er könnte sogar »Die Diener des Philosophen« heißen: Pfarrer Wasianski, tatsächlich Kants Sekretär, Betreuer und Verwalter seines Vermögens, tritt im Roman als eifersüchtiger Gegenspieler Martin Lampes auf.
Dennoch gebührt Lampe die zentrale Dienerrolle. Er gibt den scheinbaren Tölpel, piesackt aber Kant sehr gerissen. Obwohl ihm Kants Biograf Manfred Kühn bescheinigt, »geistig ziemlich beschränkt« gewesen zu sein, zeigt Lampe im Buch geistige Wachheit. Sie geht so weit, dass er ein Kriegserlebnis sogar absatz- und punktlos drei Seiten lang im verschachtelten Stil von Kleists »Michael Kohlhaas« erzählt. Im Verhältnis Lampe-Kant ist das von Herr und Knecht – laut Hegel die Quelle von Selbstbewusstsein und Identität – in voller Pracht entfaltet: »Und so hatte von dem Tag an, an dem ich Kants Bosheit durchschaut hatte, der große Philosoph einen Feind im eigenen Hause. An Geisteswitz und Gelehrtheit würde ich ihm nicht das Wasser reichen können. Doch an Verschlagenheit und Hinterhältigkeit würde ich ihn allemal übertreffen.« Heidenreich reitet hier auf einer Notiz Kants: »Der Name Lampe muss nun völlig vergessen werden«, die Wasianski als Kants Schwäche kommentiert hatte, da man normalerweise sich nicht aufschreibe, was man vergessen wolle.
Rätsel stellt einem nicht nur der Roman, sondern auch sein Schutzumschlag: zwei Vögel, vorne ein Schuhschnabel, hinten eine Taube. Der Schuhschnabel gilt in der Vogelwelt als »einmalig«, kommt nur in wenigen Gegenden Afrikas vor, verharrt stundenlang bewegungslos und ist ein tagaktiver Einzelgänger; im Verhältnis zum Körper ist sein Kopf ziemlich groß. So schildert Heidenreich auch Kant: mit zu großem Kopf und dünnen Armen und Beinen. Tauben leben dagegen in lebenslanger Partnerschaft. Will Heidenreich damit auf das Widersprüchliche in Kants Leben anspielen: Das heiraten wollen und sich doch zugunsten der Philosophie, die Liebe zu versagen?
Der Roman ist köstlich und voll von solchem Schabernack; er ist jedem zu empfehlen. Philosophisch Vorgebildete werden vermutlich noch mehr zu rätseln bekommen und sich deshalb leichter in diesem Roman verirren.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben