»Der elektrische Traum«: Unter Strom
Vom Balkon des in Flammen stehenden Wiener Ringtheaters springen Menschen in den Tod. Die Feuerwehr ist vor Ort und hat Sprungtücher. Als die Feuerwehrleute diese öffnen wollen, werden sie zurückgepfiffen. Es fehlt der Einsatzbefehl. Ursache des Feuers ist eine Gasexplosion.
Der Leser erkennt: Die Geschichte der Elektrifizierung ist auch eine der Katastrophen, die sie begünstigten. Alexander Bartl erzählt diese als Revolutionsgeschichte: der Revolution des Energiewesens weg vom Gaslicht hin zur Beleuchtung mit Strom.
Die hierarchischen Gesellschaftsstrukturen im 19. Jahrhundert stehen dabei ebenso wenig im Vordergrund wie die Entwicklung der Glühbirne als Leuchtmittel. Denn diese wäre etwa ab 1880 nicht so erfolgreich gewesen, wenn das im 19. Jahrhundert entwickelte Beleuchtungssystem besser funktioniert hätte. Doch es beruhte auf Gas. In großen Städten lagen Gasleitungen in der Erde, die das Gas in die Häuser brachten. Die Gaslampen funktionierten nicht schlecht, nur musste man mit ihnen sorgfältig umgehen. Häufig war das Gas verunreinigt und verbreitete dadurch schlechte Luft. Aber es wärmte die Wohnungen, so dass sich private Nutzer bei der Umstellung auf elektrisches Licht beklagten, dass sie nun ihre Wohnungen heizen müssten.
Wenn es zu Explosionen kam, weil unterirdische Leitungen marode waren, war oft nicht klar, wer die Verantwortung dafür trug. Wer hatte sie schlecht gewartet? War der britische Gaslieferant in der Pflicht? Dabei kamen Brände und Explosionen durchaus häufig vor. Besonders spektakulär waren Theaterbrände – auch diese keinesfalls eine Seltenheit. In Theatern wurde das Gaslicht nicht nur zur einfachen Beleuchtung gebraucht, sondern auch zu Showzwecken eingesetzt. Zur größten Katastrophe mit über vierhundert Toten kam es 1881 im Wiener Ringtheater dadurch, dass ein ungeschulter Mitarbeiter den Kronleuchter an der Decke anzünden sollte, doch die Automatikzünder versagten. Während Gas ausströmte, versuchte er den Kronleuchter mit einem brennenden Lappen anzuzünden. Zudem gab es zu wenige Fluchtwege. Das Gas fiel aus, alle Lampen auch, es wurde dunkel. Eigentlich sollten Öllampen brennen, die anzuzünden man aber vergessen hatte. Ein Polizeioffizier vor Ort schaute unten kurz hinein, sah niemanden und gab die Devise aus, alle seien gerettet. Bei diesem Unglück starben vor allem die Gäste auf den oberen Rängen, also auf den billigen Plätzen.
Edison ging es ums große Ganze: die Infrastruktur der Elektrifizierung
Diese Katastrophe erwies sich als Wendepunkt, sie beschleunigte den Ausbau der elektrischen Beleuchtung. Edison war dabei schon lange der Star der Szene, hatte die Glühbirne zwar nicht als Einziger erfunden, sich aber der Mühe unterzogen, jahrelang nach einem Glühdraht im Inneren der Glühbirne zu forschen, der hell und lange leuchtet. Dann ging es darum, eine preiswerte Massenproduktion aufzubauen und vor allem Maschinen – Dampfmaschinen – zu entwickeln, die möglichst viele Lichter mit Strom versorgten. Edisons Ziel waren nicht die Theater oder Ozeandampfer, sondern Stadtteile bzw. ganze Städte. Dazu waren große Elektrizitätswerke und Leitungen bis in jede Wohnung nötig, verbunden mit der entsprechenden Technik in den Häusern. Alles musste entwickelt und ausgebaut werden.
Angesichts der Gefahren der Gasbeleuchtung war das Interesse weltweit sehr groß. Die Gaslieferanten, die sich bedroht fühlten und das elektrische Licht fleißig hintertrieben, gingen übrigens nicht ein, sondern fanden einen neuen Markt: den der Heizungen.
Doch auch wenn es einiges an Wissen vermittelt: Bartls Buch ist kein klassisches Sachbuch, es ähnelt vielmehr einem Roman. Die Geschichten von Edison und einigen seiner Mitarbeiter werden detailliert und spannend erzählt, ebenso die von Theatermachern und Schauspielern oder der Hergang einzelner Katastrophen. All dies macht das Buch zu einer unterhaltsamen Lektüre. Allerdings wird dem Leser, der sich auf die sachliche Quintessenz dieser Geschichte konzentrieren möchte, dadurch eine gewisse Geduld abverlangt.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben