Aus energetischen Zwängen entstanden
Es ist ein bisschen wie ein guter, alter Krimi: Im vorliegenden Buch wirft Autor Nick Lane ein großes Rätsel auf, fügt langsam Puzzleteil um Puzzleteil zusammen, und am Ende ergibt jeder Aspekt der Geschichte einen Sinn. Die Geschichte, das ist in diesem Fall die Evolution des Lebens. Anders als ein Krimi ist das Werk des britischen Biochemikers nicht immer leicht zu lesen, zu komplex sind die Materie und zu zahlreich die Fachgebiete, in die er vorstößt. Doch für die These, die der Autor entwickelt, lohnt der Einsatz: Sie zeichnet ein neues und verblüffend plausibles Bild der Evolution, das sich auf Energie statt Information gründet.
Lane beginnt seine Überlegungen mit dem Ursprung eukaryotischer Zellen, die einen echten Kern besitzen und reich kompartimentiert sind, und fragt, weshalb diese in Milliarden Jahren Erdgeschichte nur einmal entstanden sind (alle Pilze, Pflanzen und Tiere einschließlich des Menschen haben eine einzige Zelle als gemeinsamen Vorfahren). Auch geht der Autor dem Rätsel nach, weshalb prokaryotische – also keinen Kern besitzende – Zellen, nämlich Bakterien und Archaeen, niemals auch nur annähernd die Komplexität der Eukaryoten entwickelt haben. Der Schlüssel liegt für Lane in der Energieversorgung, die bei fast allen Zellen dieselbe chemische Grundlagen hat: den Protonengradienten der Atmungskette.
Heißes Wasser, vulkanische Gase, Minerale
Der Autor legt schlüssig dar, wie in basischen hydrothermalen Schloten der jungen Erde chemische Prozesse zwingend dazu führen mussten, dass erste Zellen entstanden – die Anfänge des Lebens. Auch zeigt er, wieso prokaryotische Zellen einer energetischen Limitierung unterliegen, die sie daran hindert, jemals vergleichbar viele Gene und damit eine ähnliche Komplexität wie Eukaryoten zu entwickeln. Lane argumentiert plausibel, wie dieses Limit überwunden werden kann, indem ein Archaeon und ein Bakterium eine Endosymbiose eingehen, also zu einem Zelltyp verschmelzen, aus dem später Eukaryoten hervorgehen können.
Von hier ausgehend beantwortet der Wissenschaftler wesentliche Fragen der Biologie: weshalb Eukaryoten einen Zellkern haben, sich fast immer sexuell vermehren, und was die Lebenserwartung einer Spezies determiniert. Das klingt nur so lange weit hergeholt, bis Lane seine Argumente vollständig vorgetragen hat. Dann erscheint es dermaßen schlüssig, dass man sich fragt, warum über entsprechende Thesen nicht viel mehr gesprochen wird.
Lane macht stets deutlich, wo er sich auf etabliertes Wissen und wo auf strittige Thesen stützt, welches seine eigenen Überlegungen sind und welche Belege sein Team dafür experimentell bereits erbringen konnte. Mit gut eingeführten Fachbegriffen und einem umfangreichen Glossar hilft er den wenig vorgebildeten Lesern, sich die Materie zu erschließen, und mit zahlreichen Referenzen gibt er dem fachlich versierten Publikum die Möglichkeit, seine Thesen vertiefend zu prüfen.
"Der Funke des Lebens" ist noch viele Experimente davon entfernt, als wahrscheinlichste Theorie des Lebens anerkannt zu werden. Es erscheint jedoch dermaßen stimmig, dass es schwerfällt, dem Charme der vorgestellten These nicht zu erliegen. Nicht zuletzt, weil Forscher 2010 in einem hydrothermalen Schlot einen Zelltyp entdeckt haben, der in vielerlei Hinsicht dem entspricht, was man sich unter einem "Missing Link" zwischen Prokaryoten und Eukaryoten vorstellt, und Lanes Theorie in vielen Punkten zu bestätigen scheint. Das Buch ist anspruchsvoll, aber der Lesemühe wert – und könnte sich als bahnbrechend erweisen.
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