Die Revolution der schwarzen Linien
Als der junge bayerische Optiker Joseph von Fraunhofer um das Jahr 1814 dunkle Linien im Lichtspektrum der Sonne und von Fixsternen entdeckte, brachte er in der Himmelsbeobachtung einen gewaltigen Stein ins Rollen. Doch zunächst maß man diesen Linien nichts Besonderes bei, sie schienen nebensächlich für die Astronomie. Vielleicht handelte es sich bloß um einen verschmutzenden Effekt, den die Erdatmosphäre beim Durchgang des Himmelslichts erzeugt, oder sie wurden durch einen Fehler in den Linsen der Teleskope hervorgerufen. Abgesehen davon würden die Linien bestenfalls in den Bereich der Physik fallen, die damals nichts mit Astronomie zu tun hatte.
Die Zusammensetzung der Sterne
Die Wissenschaftler täuschten sich. Es dauerte noch 40 Jahre, bis man die Bedeutung der Absorptionslinien verstand: Sie geben Auskunft über die chemische Zusammensetzung von Himmelskörpern. Ihre Entdeckung läutete eine Revolution in der Astronomie ein. Ohne diese Linien wüssten wir heute nichts über die Gashüllen von Sternen – und kaum etwas über das Universum, schreibt Jürgen Teichmann in seinem Buch »Der geheime Code der Sterne«. Der Autor nimmt Fraunhofers bahnbrechende Entdeckung zum Anlass, die Geschichte der Spektroskopie zu erzählen und ihre Auswirkungen auf die Astronomie des 19. Jahrhunderts bis heute zu erklären. Teichmann ist Professor für die Geschichte der Naturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München und eng verbunden mit dem Deutschen Museum. Er gilt als bedeutender Wissensvermittler für Physik und Astronomie.
Zunächst bettet der Autor Fraunhofers Entdeckung in das Spektrum des großen Erkenntnisgewinns zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein: Messgeräte wurden präziser; man war den Geheimnissen des Lichts auf der Spur und verstand es immer besser, Lichtstrahlen durch optische Geräte zu kontrollieren. Die Möglichkeiten, die Geheimnisse des Universums mit Hilfe von Licht zu lüften, wurden immer ausgereifter. Teichmann berichtet über William Herschels Entdeckung des Infrarotbereichs und dessen Bemühungen, Planetarische Nebel zu beobachten. Er erzählt von der Vermessung von Himmel und Erde und erläutert, wie man auf den Gedanken kam, dass es – ebenso wie am roten Ende des sichtbaren Lichtspektrums – auch Strahlung am »kalten« Ende geben müsste und wie Johann Wilhelm Ritter diese ultraviolette Strahlung schließlich 1801 nachwies.
Etwas überraschend erscheint das Kapitel über Natur und Kunstwerk. Hier versucht Teichmann eine Brücke von Fraunhofers handkolorierten Spektren zur Kunst und Malerei des 19. Jahrhunderts zu schlagen. So war vor allem Johann Wolfgang von Goethe an der Farbenlehre interessiert: Schon kurz nach der Veröffentlichung Fraunhofers untersuchte der berühmte Dichter die farbenprächtigen Spektren mit den dunklen Linien. Er zeigte sich beeindruckt von den Arbeiten, aber natürlich auch reserviert, wie Teichmann beschreibt. Zur gleichen Zeit begannen viele Maler, sich mit der Wirkung von Licht, Raum und Naturgewalten auseinanderzusetzen. Man stellte genaue Beobachtungen an und entwickelte ein Gespür dafür, wie sich Licht in der Natur verhält, wie es etwa an den einzelnen Farbübergängen verschwimmt, wie es gebrochen und absorbiert wird. Man wollte Naturerscheinungen mit ihren Farben und Schattierungen so realitätsnah wie möglich darstellen.
Teichmanns Buch ist eine reichhaltige und anspruchsvolle Ansammlung von Wissen rund um die Geschichte der Astronomie und einer ihrer wichtigsten Grundlagen, der Spektroskopie. Man sollte sich für das Werk allerdings Zeit nehmen und muss wahrscheinlich einige Kapitel mehrmals durchgehen. Denn manchmal fällt es schwer, alle Informationen korrekt in den zeitlichen Kontext einzuordnen, da der Autor mitunter in seinen Erzählungen springt. Hervorzuheben ist die ansprechende Gestaltung des Buchs, es enthält viele farbige Abbildungen. Zudem lockern eingebettete Zitate der Protagonisten die geballte Informationsflut angenehm auf.
Gegen Ende der Lektüre geht Teichmann kurz auf die moderne Astronomie und ihre Erkenntnisse ein. Auch ein Ausblick auf das, was noch kommt, ist zu finden. So entsteht in Chile das erste Teleskop der Europäischen Weltraumbehörde ESO mit einem Spiegeldurchmesser von 40 Metern. Damit möchten Forschende Planeten in fernen Sonnensystemen beobachten. Das »Extremely Large Telescope« wird mehr als 10 000-mal lichtstärker sein als das beste Teleskop, das Fraunhofer im 19. Jahrhundert erbaute.
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