Unkontrollierbare Superkrieger
Im Juni 323 v. Chr. stirbt überraschend Alexander der Große in Babylon. Der Welteroberer hinterlässt ein Reich gigantischen Ausmaßes, aber keinen klar bestimmten Nachfolger. Sein Tod gibt daher den Auftakt für ein jahrzehntelanges blutiges Ringen um die Macht. In ständig wechselnden Koalitionen führen Alexanders einstige Gefährten, die Diadochen (griechisch für "Nachfolger"), einen erbarmungslosen Kampf gegeneinander. Das Reich, das Alexander mit Waffengewalt geschaffen hat, wird erneut zum Schlachtfeld – jetzt für die mörderische Auseinandersetzung zwischen Makedonen und Makedonen.
Der deutsche Historiker Johann Gustav Droysen (1808-1884) bezeichnete diese Phase in seinem viel beachteten Werk über den Hellenismus als "Zeitalter der Diadochen". Althistoriker James Romm, der am Bard College in Annadale (New York) lehrt, lässt nun die ersten Jahre dieses Abschnitts in neuem Licht erscheinen. Der Rahmen ist eng gesteckt, aber ungemein ereignisreich. Er reicht vom Ableben Alexanders im Juni 323 v. Chr. bis zum gewaltsamen Tod der letzten Blutsverwandten des makedonischen Königshauses im Jahr 308 v. Chr.
Im Haifischbecken der Macht
Es gelingt dem Autor, trotz frustrierend lückenhafter Quellensituation – Aufzeichnungen aus erster Hand für diese Epoche sind verloren gegangen und liegen nur in stark verkürzten Abschriften vor – Licht ins Dunkel jener chaotischen Zeit zu bringen. Lebendig und anschaulich lernen wir die Hauptakteure in dem blutigen Spiel kennen: Perdikkas, oberster Reiterführer (Hyparchos), dem Alexander auf dem Totenbett den königlichen Siegelring gibt und dadurch zum Nachlassverwalter und Oberbefehlshaber des Heers macht; Antipater, Reichsverweser Makedoniens; dessen Sohn Kassandros, der Alexanders Mutter Olympias aus dem Weg räumen wird; Eumenes von Kardia, Alexanders Kanzler und einziger Grieche unter den führenden Makedonen; sowie die Generäle Ptolemaios, Lysimachos und Seleukos.
Es ist für das Verständnis der komplexen Ereignislage sehr nützlich, dass der Autor die Protagonisten auf mehreren Schauplätzen gleichzeitig agieren lässt. Durch diese Strukturierung gelingt es ihm, die disparaten, aber miteinander verbundenen Handlungsstränge in "historischen Momentaufnahmen" einzufangen und für den Leser besser nachvollziehbar zu machen. Spannend wie ein Krimi beschreibt Romm das komplexe Wechselspiel von Bündnis und Verrat, Intrige und Versöhnung.
Das atemberaubende Tempo, in dem die Diadochen Allianzen schlossen und für Makulatur erklärten, Kriege vom Zaun brachen und wieder beendeten, war laut dem Althistoriker ebenso typisch für ihr politisches Agieren wie ihre Methoden zur Klärung der Machtfrage. Prophtasia, "Mord als vorbeugende Gefahrenabwehr", war eine davon. Diesbezüglich zeigten sich die Nachfolger ihrem großen Vorbild Alexander nicht unähnlich. Sein langer Schatten durchzieht das Buch wie ein roter Faden und ist Referenzpunkt für die Frage, wie und warum die Diadochen so handelten. Viele von ihnen wurden mit Alexander gemeinsam erzogen, teilten mit ihm das Feldlager, gingen mit ihm in unzähligen Schlachten durch dick und dünn.
Nicht weit vom Stamm
Beeindruckend, wie der Autor diese "unkontrollierbare Bande von Superkriegern" aus ihrer Sozialisation heraus betrachtet: Aufgewachsen in einem militärischen Milieu, in dem Ruhm, Ehre und Eroberung weitgehend synonym waren und der Grundsatz, immer der Beste zu sein, eine wettbewerbsorientierte Adelsgesellschaft prägte, waren sie einem kriegerischen Leistungsethos verpflichtet, das ihnen Alexander selbst jahrelang vorgelebt und noch auf seinem Sterbebett in Erinnerung gerufen hatte. Demnach sollte dem "Stärksten" unter ihnen die Macht über sein Reich zufallen.
Keinerlei Interesse an friedlicher Koexistenz, sondern nur darauf bedacht, "einen Gesamtherrscher mit allen Mitteln zu verhindern", fanden viele von Alexanders einstigen Kampfgefährten den Tod. Mit ihnen starb die Idee eines geeinten Reichs. Am Ende gingen aus den Diadochenkämpfen drei große dynastische Gebilde (der Antigoniden in Makedonien, der Ptolemäer in Ägypten und der Seleukiden in Asien) und, mit dem Hellenismus, ein neues Zeitalter hervor.
"Der Geist auf dem Thron" ist ein sehr kluges und lesenswertes Buch. Romm versteht es, fundiertes historisches Wissen mit anschaulicher Erzählung und Darstellung zu verbinden und so eine äußerst komplexe welthistorische Transformation einem breiteren Leserkreis näherzubringen.
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