Direkt zum Inhalt

»Der Geist im Gebirge«: Vom Bösen, von Liebe und von Schönheit, für die man leiden muss …

25 Jahre Philosophicum Lech in 25 Tagungsbeiträgen – lesenswert und anregend, jedoch bleibt unklar, nach welchen Kriterien die Texte ausgewählt wurden.
Alpenblick

»Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;/ Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.« Dieses Zitat aus Goethes Faust könnte als Motto dienen, unter dem die Textsammlung »Der Geist im Gebirge. 25 Jahre Philosophicum Lech« Bilanz zieht.

Seit September 1997 finden regelmäßig Tagungen in dem bekannten Skiort in Vorarlberg statt, zu denen bekannte Philosophen und auch Vortragende aus anderen Disziplinen beitragen. Jede Tagung widmet sich einem Thema, und im Anschluss erscheint ein Band mit allen Vorträgen. Der kürzlich erschienene Tagungsband kann daher nur ein sehr kleiner Überblick über die Vielzahl der Themen der Philosophie in diesem Vierteljahrhundert sein. Der wissenschaftliche Leiter und Herausgeber des Bandes, der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann, beruft sich auf Hegel, wenn er in seinem Schlussaufsatz »Das Böse, die Hölle, der Hass« schreibt: »Nach wie vor geht es uns darum, die Gegenwart zu begreifen …«. »Philosophie ist die Zeit in Gedanken erfasst.«

Im Angebot für die Leser ist u. a. die »Faszination des Bösen«, das »Nachdenken über den Krieg«, die »Freiheit des Denkens« sowie »Perspektiven und Grenzen guten Lebens« oder »Die Kraft der Fiktion«. Unter den Autoren findet man Barbara Bleisch, Lisa Herzog, Peter Sloterdijk, Annemarie Pieper, Wilhelm Schmid, zudem Szenestars wie Richard David Precht mit seinem launigen bis unflätigen Beitrag zum Ich, den Sozialpsychologen Harald Welzer, den Politologen Herfried Münkler oder den Ägyptologen Jan Assmann mit seinem interessanten Beitrag »Als ob: Religion und Fiktion.«

Eine Rezension dieses Sammelbandes kann nur Rosinen herauspicken. Lesenswert ist zum Beispiel der Eingangsaufsatz des Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers Rüdiger Safranski, der über »Das Böse oder Das Drama der Freiheit« reflektiert und zu dem Schluss kommt, dass der Mensch »das nicht festgestellte Tier ist«. Jeder Einzelne »ist ein Risikofall für sich selbst. Das Böse gehört zum Drama der Freiheit. Es ist der Preis der Freiheit.«

Phänomenologisch seziert die Bochumer Philosophin Käte Meyer-Drawe ein im Frisörsalon gehörtes Gespräch zwischen der Frisörin und einer Kundin über Botoxspritzen und Schönheitsoperationen. In ihrem Beitrag macht sie auf die Tücken des Spruches »Wer schön sein will, muss leiden« aufmerksam. Deutlich wird, dass der Eingriff zur Straffung der Haut die Person als solche nicht jünger macht, sondern sie nur jünger für andere erscheinen lässt. Dabei kann diese Operation auch das Gegenteil bewirken: Die vermeintliche Verjüngung kann das Gesicht zu einer Maske erstarren lassen, die gleichsam eher als »Vorbote des Todes« erscheint.

Robert Pfaller, Philosophieprofessor an der Linzer Kunstuniversität, vermutet hinter dem »Wert oder Unwert von Lüge und Täuschung eine ganz andere kulturtheoretische Frage«: nämlich, dass »Täuschungen eine wichtige soziale Funktion erfüllen und dass sogar beträchtliche zivilisierende Wirkung von ihnen ausgehen kann«. Er argumentiert, dass jemandem die Wahrheit ins Gesicht zu sagen die Beschäftigung mit dem Adressaten eben nicht erfordere. Es sei eine Form der »Bequemlichkeit«, und deshalb gebe es so viele »verletzende Wahrheiten«, selbst wenn ihr Inhalt nicht so schlimm sei. Mit Immanuel Kant und dem französischen Psychoanalytiker Octave Mannoni formuliert er, dass Täuschungen Gesellschaften kultivierten, erst recht dann, wenn beide Personen sich der Täuschung, also des »Als-ob« bewusst seien wie etwa in den Konventionen der Höflichkeit. »Das zeitliche Festhalten an den durchschauten Illusionen wird es uns ermöglichen, geselliger, politisch handlungsfähiger und – da das Unglaubliche das Lustprinzip der Kultur darstellt – auch glücklicher zu werden.«

Leser können zahlreiche Anregungen aus dem Band über die Themen der letzten 25 Jahre Philosophie ziehen. Dennoch bleibt die Frage offen, nach welchen Kriterien die Beiträge auf die Norm von ca. 10–12 Buchseiten gekürzt wurden. Wie Diskussionen im Anschluss verliefen, erfahren die Leser leider nicht – und leider auch nicht, wie der Herausgeber diese Auswahl der Beiträge begründet. Schließlich haben jedes Jahr gut ein Dutzend Persönlichkeiten im Philosophicum Lech vorgetragen, auch weit bekanntere als die ausgewählten.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – »Entschuldigung, da verstecken wir uns hinter einer billigen Ausrede«

Der bedeutende Philosoph Immanuel Kant hätte am 22. April 2024 seinen 300. Geburtstag gefeiert. Kann der kategorische Imperativ und sein philosophisches System auch noch auf die Themen des 21. Jahrhunderts angewandt werden? Außerdem: Ursachen und Umgang mit »Ghosting« in der Welt des Online-Datings.

Spektrum der Wissenschaft – KI und ihr biologisches Vorbild

Künstliche Intelligenz erlebt zurzeit einen rasanten Aufschwung. Mittels ausgeklügelter neuronaler Netze lernen Computer selbstständig; umgekehrt analysieren Soft- und Hardware neuronale Prozesse im Gehirn. Doch wie funktioniert das biologische Vorbild der KI unser Gehirn? Was ist Bewusstsein und lässt sich dieses Rätsel lösen? Auf welche Weise kreiert unser Denkorgan Gefühle wie Liebe? Können Maschinen Gefühle verstehen? Erfahren Sie mehr aus dem Spannungsfeld zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz!

Spektrum - Die Woche – Ist alles im Universum vorbestimmt?

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.