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»Der Gemeine Lumpfisch«: Schräger Ökothriller um einen intelligenten Fisch

Ned Beauman legt einen köstlich schrägen Roman vor: mit viel schwarzem Humor zum Artensterben, einem intelligenten Fisch und einem turbulenten Ende.
Meer - Plankton

Der intelligenteste Fisch des Planeten: Ist er oder ist er nicht – versehentlich ausgestorben durch eine Computerpanne oder die Gier einer Bergbaufirma? Mark Halyard, Umweltbeauftragter eines Unterwasserbergbaukonzerns, macht sich zusammen mit Karin Resaint, Expertin für Intelligenztests, auf die Suche: Ob irgendwo in den Meeren vielleicht doch noch ein Exemplar herumschwimmt?

Das Buch ist es ein Roadmovie, ein Ökothriller, eine politische Satire, ein Sachbuch, getarnt als Sciencefiction, eine Dystopie – und einfach nur großartige Literatur! Es handelt vom Artensterben, von Börsengeschäften, einer irren Mückeninvasion, Laborcarpaccio und polnischem Merlot. Es ist ein Buch, das den Menschen und ihrem Handeln den Spiegel vorhält, ohne es direkt zu verurteilen. Und es geht natürlich auch um den titelgebenden gemeinen Lumpfisch.

Auf jeden Fall ist der Roman des preisgekrönten britischen Schriftstellers Ned Beauman absolut köstlich zu lesen. Den Arthur C. Clarke Award für herausragende Sciencefiction hat das Buch bereits erhalten. Aber es ist eben nicht nur einfach ein in der nahen Zukunft angesiedelter Roman, mit dem meist üblichen technischen Schnickschnack. Es geht Beauman um viel mehr. Schließlich hat er Philosophie und später Literatur, Kultur und Denken studiert. Und so tauchen im Roman immer wieder grundsätzliche Fragen auf. Zum Wert des Lebens, zum Wesen von Intelligenz oder dazu, ob der Mensch mehr zählt als andere Spezies. Und so erzählt Beauman die Suche nach dem letzten intelligenten Fisch mit einem großartigen Gespür für Sprache, mit Finesse, reichlich Wissen und viel Witz. Rasantes Tempo und überraschende Wendungen inklusive, wie es sich für einen Thriller gehört.

Das Hohelied der Evolution

Doch neben dem Lumpfisch gibt es noch einen weiteren Star: die Evolution. »Jedes Lebewesen – jeder Fisch, jeder Käfer, jedes Säugetier und jeder Baum (…) ist ein Phänomen, das sich durch einen untergründlichen Strom von Ereignissen entwickelt hat und im Universum einzigartig und unwiederholbar ist«, zitiert Beauman einen Naturforscher. Beispiele dafür schildert die Protagonistin Karin Resaint. Sie findet, »die Natur verteilt Intelligenz auf völlig unvorhergesehene Art und Weise« und erzählt begeistert von mexikanischen Präriehunden, welche die höchstentwickelte Lautsprache aller nichtmenschlichen Spezies entwickelt haben. Oder vom Lumpfisch – der wie andere Putzerfische – über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt. So findet sich im Gehirn dieses Fischs eine detaillierte Datenbank all seiner Kunden. Er erinnert sich nicht nur an die jeweilige Art und deren Besonderheiten beim Putzen, sondern auch bei jedem einzelnen Kunden, ob dieser etwa eher sanftmütig oder mit Vorsicht zu putzen ist. Ein perfekter und intelligenter Dienstleister also. Die Evolution hat aber auch so irre Wesen wie die parasitoide Wespe Adelognathus marginatum hervorgebracht. Diese Schlupfwespe hat eine extrem raffinierte und komplizierte Methode der Selbsterhaltung entwickelt, deren brutale Details Beauman mitreißend beschreibt. Karin Resaint empfindet die Evolution als so außergewöhnlich und so »majestätisch«, dass sie es als ein Verbrechen ansieht, irgendein Wesen – ob mit Nutzen für die Menschen oder nicht – auszulöschen.

Trotz mancher moralischer Diskussionen erschafft Beauman vor allem ein äußerst gelungenes Lesevergnügen. Wer den Autor noch nicht kennt, wird sicher anschließend auch in anderen seiner Bücher stöbern wie »Flieg, Hitler flieg« über das Geheimnis eines Käfers oder »Glow« über die beste Droge der Welt aus Fuchsmägen. Suspekte Minenkonzerne tauchen da auch immer mal wieder auf. Nur an einer Stelle im Buch deutet Beauman an, wer die Geschicke lenkt. »Linke behaupteten manchmal, dass es in einem kapitalistischen System niemals eine Lösung für das Artensterben geben könne, die nicht von Profitgier und Missbrauch geprägt war, weil der freie Markt wie eine bösartige KI sei, unendlich viel hinterhältiger als die Menschen.«

Manches im Roman klingt abwegig, wie ein im menschlichen Gesicht wuchernder Pilz; Tiere, die über die Menschen zu Gericht sitzen; autonome Spindrifter, die über die Ostsee pesen und Wind ernten; Tierschützer im Ganzkörperotterkostüm; monströse Pandaklone; illegal abgeladener Giftmüll in Bioreservaten; oder eben die legalisierte Auslöschung von Arten mittels Zertifikaten. Doch irgendwann beim Lesen beschleicht einen doch irgendwann das Gefühl, das Ganze ist nur ein wenig von der heutigen Realität entfernt. Und vielleicht ist auch das Ende im Buch ein reales? Beauman gestaltet es sehr düster und mit einer Prise Galgenhumor. Oder ist es ein überaus gutes Ende? Das zu entscheiden, bleibt dem Leser überlassen.

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