Strategien gegen Armut
Während ein Teil der Menschheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Überfluss schwelgt, leben noch mehr als eine Milliarde in bitterer Armut. Zwar ist der materielle und gesundheitliche Lebensstandard der industrialisierten Welt höher als vor 100 Jahren. Doch Länder wie die Demokratische Republik Kongo, Sierra Leone oder Swasiland sind so arm, dass viele ihrer Einwohner mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen. Auch innerhalb der industrialisierten Nationen ist der Reichtum ungleich verteilt: So galten laut statistischer Bundesbehörde im Jahr 2009 etwa 14 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung als arm, weil ihnen weniger als 15 Dollar pro Tag zur Verfügung standen. Dieses Beispiel macht gleichzeitig deutlich, wie schwer es ist, eine allgemein gültige Armutsgrenze zu definieren.
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Angus Deaton von der Princeton University untersucht die Ursachen des Wohlstands und der globalen Armut. Ebenso nennt er Maßnahmen, die aus seiner Sicht gegen die Ungleichverteilung getroffen werden müssen. Seine Argumentation stützt er auf viele statistische Untersuchungen. Er zeigt auf, dass in den heute als wohlhabend geltenden Industrienationen frühere Generationen den Reichtum erarbeiten mussten.
Als Kriterien zum Erfassen des Wohlstands gelten ihm das Einkommen sowie die medizinische Versorgung. Beides beeinflusst (zumindest indirekt) die Lebenserwartung, die heute weitaus höher ist als noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch in Entwicklungsländern ist sie gestiegen.
Die historischen Wurzeln des Wohlstands von Industrienationen sieht Deaton in der Aufklärung und der industriellen Revolution. Fortschreitendes naturwissenschaftlich-medizinisches, gesellschaftspolitisches Wissen sowie die Technikentwicklung führten den Menschen in eine zunehmend globalisierte Welt – mit den beschriebenen Missständen.
Ausbruch aus der Armut
Den scheinbar abgehängten Dritte-Welt-Staaten könne der Ausbruch aus der Armut gelingen, glaubt Deaton. Und er liefert Thesen, wie das funktionieren soll: Die Länder dürften nicht daran gehindert werden, den wohlhabenden Staaten nachzueifern. Gut gemeinte Entwicklungshilfe, die rein aus Geldzahlungen bestehe, richte dagegen mehr Schaden an, als sie nütze, da sie den Aufbau lokaler Verwaltungs- und Wirtschaftsinstitutionen untergrabe. Vielmehr drohe die Gefahr, korrupte und unterdrückende Regime zu unterstützen, wenn die finanziellen Hilfen nicht bei den Betroffenen ankommen, sondern im staatlichen Haushalt versanden. Außerdem fehlten dadurch Anreize zur Selbsthilfe.
Deaton sieht vor allem die Industriestaaten in der Pflicht. Statt Geld sollten sie vielmehr Wissen zur Verfügung stellen, Handelshemmnisse abbauen und den internationalen Waffenhandel eindämmen. Nur ein beständiges Wirtschaftswachstum könne letztlich dafür sorgen, dass Entwicklungsländer den Weg aus Armut, Korruption und politischer Instabilität schaffen. Dem Autor gelingt es, die aktuelle weltpolitische Situation messerscharf zu analysieren. Er versprüht dabei einen Optimismus, der keine grundlegenden Grenzen wirtschaftlichen Wachstums zu kennen scheint, und hält Lösungen für machbar.
Es ist nicht zu bestreiten, dass Entwicklungshilfe, die sich nur in reinen Geldzahlungen äußert, kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum erzeugt und die Situation verschärfen kann. Doch man muss sich fragen, ob Deatons Kritik an der Entwicklungshilfe nicht überspitzt ist, schließlich ist die "Hilfe zur Selbsthilfe" für viele Organisationen bereits lange ein Thema. Ebenso ist unklar, ob die Industriestaaten tatsächlich ein Interesse daran hegen, ihr Knowhow zu teilen. Schließlich schaffen sie sich mit dem Aufbau von seit Jahrhunderten unter anderem von ihnen selbst ausgebeuteten Ländern langfristig eine Konkurrenz.
Auch wenn man Deatons Ansichten nicht immer teilt, regen seine Thesen und Analysen dennoch zum Nachdenken über die Ursachen eines Grundübels der heutigen Welt an: der immensen Kluft zwischen Arm und Reich. Das Buch richtet sich an Leser, die sich für fundierte wirtschaftswissenschaftliche und soziologische Zusammenhänge dieses Problems interessieren. Vorkenntnisse auf dem Gebiet helfen, sich in der komplexen Materie zurechtzufinden.
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