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Mathe von der Steinzeit bis Heute

Spätestens mit dem Aufkommen der ersten größeren Siedlungen benötigten die Menschen Mathematik: Die lange Historie einer Fachdisziplin.

Der Autor dieses Sachbuchs erfreut sich in Frankreich großer Beliebtheit. Hunderttausende Abonnenten verfolgen seine Youtube-Beiträge zur Mathematik. Aber nicht nur sein Bekanntheitsgrad trug dazu bei, dass die 2016 erschienene Originalausgabe in Frankreich zum Bestseller wurde und mittlerweile in zahlreichen weiteren Sprachen herausgekommen ist, darunter Deutsch.

Launay arbeitet auf dem Youtube-Kanal "Micmaths" kontinuierlich daran, die Mathematik zu popularisieren. Auch kommt es öfter vor, dass er in einem beliebten Urlaubsort einen Mathematik-Stand aufbaut und die Neugier nichtsahnender Spaziergänger nutzt, um mit ihnen ins Gespräch über sein Fachgebiet zu kommen. Er ist überzeugt, dass sich die meisten Menschen eigentlich für Mathematik interessieren, sie sogar mögen – dass ihnen dies nur nicht bewusst ist. Er kennt die typische Reaktion der Menschen, wenn sie erfahren, dass er Mathematiker ist: "Oh, in Mathe war ich immer eine Niete." Und er nimmt dies zum Anlass, um zu verdeutlichen, wie viel Mathematik um uns ist und wie sehr die Entwicklung der Menschheit mit jener des Fachgebiets verbunden war.

Zählsteine und Tontafeln

Der Autor berichtet von seinen Begegnungen in Urlaubsorten, und er nimmt seine Leser mit auf eine Reise durch die Geschichte. In 17 Kapiteln erzählt er, wie die Mathematik einst entstand und welche Herausforderungen zu ihrer Weiterentwicklung führten. Auch wenn der Buchtitel dies vermuten lässt, handelt es sich nicht um einen Roman, sondern um ein anregend geschriebenes Sachbuch, dessen Lektüre nur wenig Fachkenntnisse voraussetzt. Etliche Schwarzweißgrafiken ergänzen den Text und tragen wesentlich zum Verständnis bei.

In vielen Geschichten lässt Launay die Vergangenheit lebendig werden. Er beschreibt, wie das Leben in den ersten größeren Siedlungen die Menschen dazu brachte, mithilfe von Zählsteinen und Tontafeln notwendige Daten zu erfassen und dafür Zahlensymbole und Zahlensysteme zu entwickeln. Entsprechendes gilt auch für geometrische Methoden, die notwendig wurden, um Entfernungen und Winkel zu messen und mit den Ergebnissen diverse Berechnungen durchzuführen. Überzeugend und anschaulich gelingt dem Autor die Darstellung, wie sich aus konkreten Anwendungen heraus so abstrakte Wissenschaftszweige wie Arithmetik und die Geometrie entwickelten.

Launay spannt den Erzählbogen bis ins 20. Jahrhundert, wo er allerdings die Vielfalt der Personen und Themen nur noch andeuten kann: vom Mathematikerkongress in Paris und der hilbertschen Liste der ungelösten Jahrhundertprobleme bis hin zur Stiftung der Fieldsmedaille, von George Whitehead und Bertrand Russel zu Kurt Gödel, von computergestützten Beweisen bis hin zur Mandelbrot-Menge. Die Darstellung seiner eigenen Promotion nimmt er abschließend zum Anlass, auf die darin dokumentierte "Genealogie der Mathematiker" einzugehen (die bei ihm bis Tartaglia zurückreicht).

Überraschende Zeit- und Ortssprünge

Bei der Lektüre drängt sich immer wieder der Eindruck auf, dass der Autor einzelne Kapitel bereits anderswo veröffentlicht hat und erst nachträglich zu einer großen Erzählung über Mathematik zusammengefügte und ergänzte. Das ist an und für sich nicht zu kritisieren – verwunderlich erscheinen nur die gelegentlichen Zeit- und Ortssprünge, die Launay seinen Lesern abverlangt. Auch wirken die hin und wieder eingeschobenen Beiträge, etwa warum "Minus mal Minus Plus" ergibt, etwas willkürlich, obgleich sie das Buch bereichern.

In einigen Kapiteln spricht der Autor klar das französische Publikum an, etwa wenn er zum Besuch der Antikenabteilung des Louvre einlädt, um anhand der dort ausgestellten Keramiken zu verdeutlichen, dass die Ornamentik eine der Wurzeln der Geometrie ist. Künstler haben sich schon vor Jahrtausenden immer wieder neue Muster zur Verzierung von Alltagsgegenständen ausgedacht, und durch sorgfältiges Analysieren der im Museum ausgestellten Objekte kann man herausfinden, dass alle sieben möglichen Bandornamente (Friese) auf den Keramiken vorkommen. Allerdings haben Mathematiker erst viel später herausgefunden, dass es nur diese sieben Typen gibt. An anderer Stelle nimmt der Autor die Entwicklung trigonometrischer Methoden zum Anlass, seine Leser auf einen fiktiven Spaziergang entlang der Meridianlinie in Paris zu entführen.

Die Übersetzung des Buchs ist nicht durchweg gelungen. Einige Formulierungen versteht man erst beim zweiten Lesen, manche Ausdrücke erscheinen übertrieben pathetisch – vermutlich, weil die beiden Übersetzer sich zu wörtlich an das Original gehalten haben. Auch scheint ihnen nicht bewusst gewesen zu sein, dass man das Fachvokabular der Mathematik nicht beliebig ersetzen kann; so bezeichnen sie Zahlenfolgen fälschlich als "Reihen" und Vemutungen als "Annahmen", was logisch nicht dasselbe ist.

Dass die Übersetzer theorème mit "Theorem" widergeben, ist zwar möglich, aber im Deutschen eher unüblich. Lediglich in einer Fußnote weisen sie darauf hin, dass stattdessen im Deutschen "oft" der Begriff "Satz" verwendet werde. An Fachkenntnissen mangelte es auch an jener Buchstelle, die auf das "Theorem von al-Kashi" veweist, das im Deutschen nur unter dem Begriff "Kosinussatz" bekannt ist. Zumindest merkwürdig erscheint die Verwendung der Singularform "Paradox" und der Plurals "Paradoxe" (statt Paradoxon und Paradoxa).

Trotz dieser Mängel lässt sich das Buch mathematischen Laien empfehlen, die etwas darüber erfahren möchten, wie sich die Mathematik im Laufe der Geschichte in unterschiedliche Richtungen ausdifferenzierte. Unterhaltsam ist der Band allemal.

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