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»Der grüne Krieg«: Wenn Naturschutz zur Perversion wird

Einheimische verhungern, weil ihnen die Jagd als Lebensgrundlage entzogen wurde. Menschen werden getötet, um Elefanten in Parks zu schützen. Beispiele wie diese machen Sabine Schlindweins Buch zu einer ebenso erhellenden wie erschreckenden Lektüre.
Gorilla im Virunga-Nationalpark

Dass sich die Erde dank uns Menschen im größten Artensterben seit Jahrtausenden befindet und dass wir dringend gefährdete Tierarten schützen müssen, ist unumstritten. Aber die Frage nach den Methoden, durch die sie zu schützen sind, ist es keineswegs. Sabine Schlindwein legt in ihrem Buch den Fokus auf die Aspekte des Naturschutzes, die Tieren zwar nützen, aber Menschen erheblich schaden können.

Die Weltgemeinschaft hat sich darauf geeinigt, bis 2030 30 Prozent des Planeten unter Naturschutz zu stellen – was insbesondere den Schutz der Regenwälder bedeuten würde. Allerdings ist im kollektiven Bewusstsein nicht hinreichend verankert, dass in und um diese Schutzgebiete herum Menschen, vor allem Indigene, leben. Wer hier von Naturschutz spricht, hat in der Regel eine idealisierte menschenleere Natur vor Augen, in der nur große wilde Tiere leben. Die Autorin argumentiert, dass dieses reduzierte Bild und die daraus resultierenden Probleme ein Erbe des Kolonialismus sei, und zwar auch des deutschen.

So beschreibt sie, dass das erste Schutzgebiet in der damaligen deutschen Kolonie Tansania ursprünglich keineswegs menschenleer war. Vielmehr wurde das entsprechende Gebiet »entvölkert«, nachdem dort ein Aufstand gegen die deutsche Besatzung (1905–1907) niedergeschlagen worden war. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel der Park an die Briten und wurde nach dem englischen Großwildjäger Frederick Courteney Selous benannt, dessen Namen er noch heute trägt. Selous wurde dafür gerühmt, rund 550 Elefanten erlegt zu haben. Später behauptete er, die Elefanten müssten vor den Einheimischen geschützt werden, denn diese wären für ihre Dezimierung verantwortlich – eine für koloniale Diskurse typische Täter-Opfer-Umkehr.

Die Tötung Einheimischer im Namen des Naturschutzes

Den Fokus legt die Autorin allerdings auf die Gegenwart und die Militarisierung des Naturschutzes. Seit 2002 werden Wilderer offiziell als Terroristen definiert. Dazu zählen dann auch die Batwa – eine Ethnie, die unter anderem im Kongo ansässig ist. Sie lebt traditionell von der Jagd und wird nun zum Ackerbau genötigt. Viele der Batwa werden in den neuen, ihnen aufgezwungenen Lebensumständen zu Alkoholikern, vergleichbar dem Schicksal der Native Americans in ihren US-Reservaten. Überhaupt scheinen sich die Europäer im Umgang mit Nationalparks und den dort lebenden Einheimischen einiges bei den US-Amerikanern abgeschaut zu haben. Da die Bevölkerung im Kongo aber stetig wächst und durch die Ausweitung der Parks immer weniger Ackerfläche zur Verfügung steht, sind zahlreiche Batwa chronisch unterernährt. Wenn der Hunger sie in den Park treibt, laufen sie Gefahr, von Wildhütern erschossen zu werden. Es ist zum Beispiel ein Fall eines 17-jährigen Jungen dokumentiert, der an Mangelerscheinungen litt und mit seinem Vater auf der Suche nach Heilkräutern in den Park ging. Der Junge wurde sofort erschossen, der Vater konnte fliehen. Die Autorin hat 2019/20 alle Dörfer rund um die Parks abgefahren und Zeugen befragt. Es ist erschreckend zu lesen, wie sehr Menschen unter dem vermeintlich nur Vorteile bringenden Naturschutz leiden.

Eine alte Dorfbewohnerin, die nahe dem Virunga-Nationalpark im immer noch von Krieg gebeutelten Teil Kongos lebt, meint, die Wildhüter seien ihre schlimmsten Feinde, schlimmer als alle anderen zusammen: die Milizen sowie die Mafia, die jährlich Tausende Hektar Wald illegal zu Holzkohle verarbeitet und verkauft. Ein junger Wildhüter, dessen Traum es von klein auf war, diesen Beruf auszuüben, wie auch sein Vater und sein Großvater vor ihm, zeigt sich desillusioniert. In zwei Dienstjahren habe er noch keinen Gorilla zu Gesicht bekommen, dafür aber Menschen erschossen. Die Wildhüter im Kongo werden von ehemaligen israelischen Elitesoldaten im Antiterrorkampf trainiert, sind besser ausgerüstet als die staatlichen Soldaten und werden über verschlungene Wege auch aus deutschen Steuergeldern bezahlt.

Schlindwein kontrastiert effektvoll ihre eigenen Erfahrungen und Recherchen mit den empathielosen Phrasen der Bundesregierung, die versucht, sich jeglicher Verantwortung für diese Missstände zu entziehen. Dass Macht offenbar jeden korrumpieren kann, wird an der besonders ausführlich erzählten Geschichte von Innocent Mburanumwe deutlich. Er hatte sich als junger Wildhüter um verwaiste Gorillas gekümmert und ist zum Vizedirektor des Virunga-Nationalparks aufgestiegen. Er wurde sogar zum Helden in der Netflix-Dokumentation »Virunga« und erhielt zahlreiche internationale Naturschutzpreise. Er ist aber auch für die Tötung vieler Batwa verantwortlich. Außerdem wurde ihm vorgeworfen, eine sehr junge Frau, die direkt neben dem Virunga lebte, jahrelang vergewaltigt zu haben. Noch aus dem Hausarrest heraus übte er über seine Kontakte Druck auf Journalisten und die Familie des Opfers aus. Schließlich wurde er nicht verurteilt, sondern in den Nationalpark Kahuzi-Biéga versetzt, wo er in gleicher Position als Vizedirektor wieder Jagd auf die Batwa machte.

Anschaulich werden auch einige fast schon absurd anmutende Szenen geschildert. Die armen Bauern außerhalb des Parks haben zum Park eine Grenze aus Bienenstöcken gezogen. Denn die Elefanten, die jede Nacht ihre Felder plündern, haben Angst vor Bienen und verschwinden, sobald sie mit ihnen in Kontakt kommen. Jede Nacht ziehen die Dorfbewohner mit Trommeln und Trompeten los, um die Elefanten von ihrem Obst und Gemüse zu verjagen. Wenn sie allerdings offensiv einen der Elefanten angreifen, würden sie sich in Lebensgefahr begeben, weil die Wildhüter viel besser bewaffnet sind als sie.

Simone Schlindweins engagiertes Buch endet zwar nicht versöhnlich, aber doch wenigstens mit ein paar Hoffnungsschimmern. Sie berichtet, dass sich die afrikanischen Länder zunehmend auf ihre Naturschutztraditionen von vor 400 Jahren besinnen. Denn vor der Kolonialisierung durch die Europäer sei es nicht in der afrikanischen Kultur verankert gewesen, Tiere aus purer Lust am Töten zu jagen. Allerdings hätten, so die Autorin, die meisten jungen Afrikaner mittlerweile westliche Werte übernommen und würden die Natur primär als Ware begreifen.

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