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»Der Mensch-Klima-Komplex«: Voraussetzung für Handeln ist Wissen

Wer sich vorurteilsfrei mit dem Thema Klimawandel beschäftigen möchte, für den empfiehlt sich das Buch von Hans von Storch.
Überflutungen in Nigeria

Der Klimawandel mit seinen Auswirkungen und Vorschläge zu seiner Eindämmung sind mittlerweile auch Thema der Politik. Die Handlungsmöglichkeiten hängen in erheblichem Maße von unserem naturwissenschaftlichen Wissen ab. Der Klimaforscher und Mathematiker Hans von Storch hat sich jahrzehntelang mit Fragen des Klimas beschäftigt und auch an den Berichten des Weltklimarats (IPPC) mitgearbeitet. In diesem lesenswerten und prägnant geschriebenen Buch stellt der Autor wissenschaftliche Grundlagen und eine Fülle von Ideen vor. Dabei geht es darum, die oft von nur wenig Sachverstand geleiteten Diskussionen auf eine solide naturwissenschaftliche Basis zu stellen – Meteorologie und Klimaforschung gehören zu den Naturwissenschaften. Denn eine Kenntnis der sehr komplexen Faktoren, die das Klima beeinflussen, ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Entwicklung des Weltklimas und den jetzigen Stand verstehen und beurteilen zu können. Viele Darstellungen in den Medien erscheinen oft sehr verkürzt oder gar falsch zu sein.

Das einleitende Kapitel stellt die Fakten über den Klimawandel und das Klimasystem vor und gibt einen kurzen Abriss der Forschungsgeschichte. Die weltweiten Klimaschwankungen in der Vergangenheit und die Kohlendioxidemissionen während der Coronakrise werden erklärt. Im Weiteren wird das Klimawissen dargestellt und der Unterschied zwischen Wissen und Wissenschaft beschrieben. Dabei geht es um die Frage nach der Qualität des wissenschaftlichen Wissens. Von Storch beschreibt, mit welchen Ansätzen die Klimaforschung arbeitet und wie Klimamodelle entwickelt werden. Für unser Handeln erscheint das Kapitel über den Umgang mit dem menschengemachten Klimawandel von zentraler Bedeutung. Dieser ist zwar ein gravierendes Problem, aber er darf nicht als ein gesellschaftlich alles andere dominierendes Phänomen verstanden werden.

Die Anstrengungen, die in Deutschland und Europa gemacht werden, sind lobenswert, aber es bleibt offen, ob dadurch die Emissionen von rund 40 Gigatonnen Kohlendioxid weltweit pro Jahr wirklich nennenswert gesenkt werden können. Das Klima ist nicht lokal begrenzt, und wir können durch einen veränderten Lebensstil etwa 0,8 Gigatonnen einsparen. Wenn geplant ist, die Klimaerwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen, dann müsste jedoch der weltweite Ausstoß von Kohlendioxid auf null reduziert werden, oder es wären sogar negative Emissionen nötig (das heißt, klimaschädliche Gase müssten aus der Atmosphäre zurückgeholt werden). Allein mit Konsumverzicht und technologischen Veränderungen ist dies kaum zu schaffen. Es geht um Investitionen, Forschung und Förderung neuer Technologien, aber auch um eine überzeugende Entwicklungspolitik: Die Staaten des Westens sollten nicht dem Rest der Welt Konsumverzicht predigen, sondern sie müssen wirtschaftlich attraktive Hilfe anbieten. Gerade in ärmeren Ländern sind viele andere Probleme vorherrschend, beispielsweise in der Landwirtschaft und der medizinischen Versorgung. Weltweit gibt es mehr Tote durch die Welthungerkatastrophe zu beklagen als durch die Erwärmung.

Der Autor schildert auch grundsätzliche Überlegungen: Wissenschaft erbringt nämlich keine endgültigen und unveränderlichen Ergebnisse, sondern unterliegt immer der Möglichkeit der Falsifizierung von Hypothesen. Nur so ist wissenschaftlicher Fortschritt möglich. Ein weiteres Thema des Buchs ist das Verhältnis von Wissenschaft und Politik: Diese beiden Bereiche müssen unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Es gibt jedoch eine bedenkliche Entwicklung: Wissenschaft gilt dann als »gut«, wenn sie gesellschaftlich erwünschte Schlüsse legitimiert; ob sie methodisch solide vorgeht, ist nachrangig. Und wir müssen unterscheiden zwischen den »wirklichen« und den »sozial konstruierten« Kosten, die nicht deckungsgleich sind.

Wie die Diskussion manchmal an der Realität und wissenschaftlichen Erkenntnis vorbeigeht, illustriert der Autor an den so genannten Kipppunkten, einem Konzept, das aus der Theorie nicht linearer, niederdimensionaler Systeme stammt. Dies beschreibt schnelle Änderungen, die über sehr lange Zeiträume bestehen bleiben. Es wurde auf die Klimakrise übertragen, und es wurde behauptet, dass sich das Klima bei einer Erderwärmung von über zwei Grad dauerhaft ändere. Allerdings fand diese Hypothese nie die nötige empirische Unterstützung; sie wird jedoch gerne von einer beunruhigten Öffentlichkeit als Faktum angesehen.

Von Storch plädiert dafür, sich nicht einseitig auf die Begrenzung von Emissionen und Verzicht zu konzentrieren, sondern sich an den Klimawandel anzupassen, weil wir ihn nicht komplett vermeiden können. Dieses Buch ist jedem zu empfehlen, der sich mit den geschilderten Problemen ernsthaft und vorurteilsfrei beschäftigen und die sehr komplexen Hintergründe des Klimawandels verstehen möchte. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, die oft recht oberflächlichen Diskussionen zu versachlichen.

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