Die Beziehung von Mensch und Tier
Wussten Sie, dass sich mit der Erfindung des Zylinderhuts in Paris die Biber wieder erholten? Mit der Verdrängung durch andere Kopfbedeckungen ging die Nachfrage nach ihrem Fell zurück. Damit wurde eine vom Aussterben bedrohte Tierart gerettet, die wichtig für die Entstehung von Sümpfen und Veränderungen von Wäldern ist. Das Buch verdeutlicht mit diesem Beispiel, welchen Effekt die Menschen auf andere Spezies und damit auch auf Lebensräume haben.
Unterhaltsame und interessante Geschichten
Der Biologe und Wissenschaftsautor Richard Girling gibt einen chronologischen Überblick über die letzten gut 3000 Jahre des Zusammenlebens von Mensch und Tier. Es entsteht eine kulturgeschichtliche Reise zu unserem Wirken auf andere Lebewesen, geprägt von Gesellschaften durch Religion, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft; gefüllt mit anekdotischen Erzählungen.
Selbst wenn an manchen Punkten deutlich wird, dass der Autor aus britischer Perspektive schreibt, nimmt er auch andere Blickwinkel ein. So enthält er den Lesern und Leserinnen unterhaltsame und verblüffende Informationen zum Inselvolk nicht vor, beispielsweise dass Queen Elizabeth II. Besitzerin fast aller Schwäne auf britischem Hoheitsgebiet ist. Doch den Fakt, dass schon Pythagoras Vegetarier war, was darauf verweist, dass diese Ernährungsweise nicht nur ein aktueller Trend ist.
»Der Mensch und das Biest« ist das dritte Buch von Richard Girling zu dem Thema. In den vorigen Werken noch ohne Literaturhinweise, bindet er seine Quellen nun in den Fließtext ein, die sich am Ende des Buchs nachschlagen lassen. Manchmal wirkt der thematische rote Faden jedoch wie ein Galopp durch die Zeit, Übergänge sind teilweise holprig. Die Übersetzung liest sich gut, aber der Originaltitel »The Longest Story. How Humans Have Loved, Hated and Misunderstood Other Species« ist aufschlussreicher als der deutschsprachige Titel.
Die lange Geschichte startet bereits vor 300 000 Jahren mit einem friedlichen Nebeneinander, bis der Mensch mit der Domestizierung von Tieren beginnt und Nutztiere teilweise durch Gewalt in sein Leben einbindet. Den ersten tieferen Einblick liefert Girling in die Zeit der großen (vor-)antiken Reiche. Man lernt, dass schon im antiken Griechenland und im römischen Kaiserreich Tiergefährten wie heute gehalten wurden oder dass so manche Schimpansen ein ähnliches Verhalten an den Tag legen, wenn sie Schliefer wie Haustiere mit sich tragen. Zudem nennt der Autor wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse, die wir mit und durch Tiere erlangt haben, und untermauert diese mit Quellen. Der Diskurs von Tierversuchen zum Wohl von Mensch und Wissenschaft taucht über die Jahrhunderte – und damit über das Buch – hinweg immer wieder auf. Wo Tiere nicht geopfert werden sollten, mussten Gefangene oder Sklaven für Experimente herhalten, die genauso wenig Grundrechte hatten wie Tiere.
Der Autor bringt immer wieder philosophische Fragen und Dilemmata ein, auf die es keine eindeutige Antwort gibt, um dann wieder zurück zum Ziel des Buchs zu kommen: der Darstellung des komplexen Zusammenlebens des Menschen mit anderen Spezies. Doch das Buch räumt nicht allen Tieren den gleichen Stellenwert ein. Insekten kommen etwas kurz. Den Meeren widmet der Autor zumindest ein Kapitel, da das Thema im letzten Jahrhundert sowohl politisch als auch wirtschaftlich prominent war.
Neben Politik und Wirtschaft kritisiert Girling auch Religion. Als Vertreter von Tierwohl oder Tierrecht (diese Begriffe werden kurz beleuchtet) stellt er immer wieder die Grausamkeit und Hybris der Menschen dar. Stellenweise ist es fast ratsam, das Buch kurz wegzulegen, denn manche Schilderungen sind unangenehm. Die erwünschte Wirkung, das Aufrütteln des Lesers hinsichtlich der Wichtigkeit von Tierschutz und dem Erhalt von Biodiversität, erreicht es damit allemal.
Doch auch Paradoxien betont der Autor: So wurde etwa die erste Petition zur Erhaltung eines Naturreservats überraschenderweise von englischen Gentlemen und Jägern getragen, um den Raum der von ihnen gejagten Wildtiere zu sichern. Das Buch thematisiert die Jagd immer wieder über die Kapitel hinweg; manchmal zielte die traditionsreiche Sportart auf die letzten Individuen einer Art ab. Anekdotische Erzählungen zu ehemaligen Jägern, die dieses Hobby aufgegeben haben, machen Hoffnung auf Besserung. Häufig scheint es beim Lesen, als sei mit dem titelgebenden »Biest« eigentlich der Mensch gemeint. Der Autor hat keine perfekte Lösung für die Paradoxien in einer Welt, die nicht vollständig schwarz oder weiß ist. Aber legt er nahe, sich selbst den Spiegel vorzuhalten: »Wenn wir bei uns selbst keine Unterschiede respektieren können, wie sollen wir dann Vögel und Fische respektieren?«
Wie können wir es besser machen? Fernab von Ideologie und Religion appelliert Girling an uns, nicht in Apathie zu verfallen. Auch wenn es kein Garant für Erfolg ist, spricht er sich für gute Absichten und ein entschlossenes und abgestimmtes Handeln aus. Denn ist das ökologische Gleichgewicht erst einmal aus der Balance geraten, lässt es sich nicht so einfach wiederherstellen.
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