Abstrakte Gedanken verständlich erklärt
Mit »Der Sinn des Denkens« legt der deutsche Philosoph Markus Gabriel das dritte und letzte Werk seiner philosophischen Trilogie vor. In »Warum es die Welt nicht gibt« (2013) hatte er sich mit der Ontologie, also der Seinslehre, auseinandergesetzt; in »Ich ist nicht Gehirn« (2015) hingegen in der aktuellen Debatte um das Bewusstsein positioniert – und zwar klar auf Seiten der Philosophie und gegen die Vereinnahmung durch die Neurowissenschaften. In diesem Band legt seine Thesen zum menschlichen Geist und Denken dar.
Gabriel hat seit 2009 an der Universität Bonn den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und der Gegenwart inne. Das mag nach einem sehr weiten Forschungsgebiet klingen, doch immer wieder wird deutlich: Der nur 38 Jahre alte Philosophieprofessor ist beeindruckend belesen, seine philosophische Analyse scharfsinnig, und er kann das Feld ohne Weiteres abdecken. In nüchternem, aber nicht zu akademisch wirkendem Stil stellt der Autor seine Thesen dar, in deren Zentrum die Annahme steht, das menschliche Denken sei ein Sinn wie das Hören, Fühlen oder Schmecken, mit dem sich abstrakte Objekte wahrnehmen lassen. »Wir betasten denkend eine Wirklichkeit, die letztlich nur dem Denken zugänglich ist, ebenso wie Farben für gewöhnlich nur dem Sehen und Töne nur dem Hören zugänglich sind«, schreibt er.
Denken: Unerreichbar für Maschinen?
Gabriels Thesen sieht man den Einfluss der hegelschen Philosophie und des deutschen Idealismus an, über die der Autor promoviert hat. Das macht das Buch umso interessanter, wird eine solche Ansicht doch heute nicht mehr häufig vertreten. Denken heißt für ihn, Verbindungen zu erkennen und herzustellen. Dadurch würden wir weit entfernte Wirklichkeiten verknüpfen und neue Wirklichkeiten herstellen. Entgegen der weit verbreiteten Vorstellung sei Denken kein Vorgang der Informationsverarbeitung, der sich in Silizium oder irgendeiner anderen nicht lebendigen Materie nachbauen lasse. Computer könnten daher ebenso wenig denken wie Aktenordner. Gleichzeitig bezeichnet Gabriel den menschlichen Verstand selbst als »künstliche Intelligenz« und sieht ihn nicht als einen naturgegebenen Vorgang an. Denn alles, was einen geistigen Anteil habe, sei von menschlichen Lebewesen hervorgebracht.
Das Werk ist auch ohne Vorkenntnisse lesbar – aus zwei Gründen. Der Autor erklärt erstens alle philosophischen Begriffe, die er einführt, sehr genau, was ihm überwiegend gut gelingt. Hierin liegt allerdings die Gefahr, dass die Darstellungen durch seine persönliche Position eingefärbt werden. So lehnt Gabriel die linguistische Wende vollständig ab, ein Paradigmenwechsel in der Philosophie, bei dem sich das Augenmerk von den Inhalten der Gedanken auf die Sprache, in der diese ausgedrückt werden, verschiebt, und entkräftet sie mit dem Verweis auf den Unterschied von Wort und Begriff. Die Tatsache, dass gerade diese Unterscheidung vom Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure (1857–1913) die linguistische Wende mit ausgelöst hat, fällt unter den Tisch.
Der zweite Grund für die Verständlichkeit des Buchs sind die zahlreichen Beispiele, die Gabriel aufführt und die manchen recht abstrakten Gedanken verdeutlichen. Mitunter wirkt seine Recherche allerdings wenig sorgfältig, zum Beispiel, wenn er das Projekt des Künstlers Jed aus dem Roman »Karte und Gebiet« von Michel Houellebecq als Malerei bezeichnet, obgleich es sich eigentlich um Fotografien handelt. Trotz solcher Schwächen liefert Markus Gabriel einen interessanten und bereichernden Beitrag zum schwer umkämpften Gebiet der Philosophie des Geistes.
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