»Der stärkste Stoff«: Vom Medikament zum Rauschmittel und zurück
»Es ist sehr heilsam zu erkennen, dass das ziemlich langweilige Universum, in dem die meisten von uns die meiste Zeit verbringen, nicht das einzige Universum ist, das es gibt. Ich denke, es ist gesund, dass die Menschen diese Erfahrung machen.«
In diesem Zitat spricht Aldous Huxley (1894–1963), der unter anderem den dystopischen Roman »Schöne neue Welt« geschrieben hat, von der bewusstseinserweiternden Qualität des Lysergsäurediäthylamid – besser bekannt unter der Abkürzung LSD. Die in den meisten Ländern als Droge verbotene Substanz war allerdings nicht immer ein Synonym für psychedelische Erfahrungen.
Die Geschichte des LSD bringt uns Norman Ohler in seinem Buch »Der stärkste Stoff« näher. Der Autor, der neben Sachbüchern auch Romane und Drehbücher verfasst, beschäftigt sich nicht zum ersten Mal mit Geschichte und Bedeutung von psychoaktiven Substanzen. Besonders sein Werk »Der totale Rausch«, das sich mit der Nutzung aufputschender Substanzen in der Militärtaktik des Dritten Reichs befasst, wurde sehr positiv aufgenommen.
Im vorliegenden Band beleuchtet Ohler sein Thema chronologisch. Der erste Teil betrachtet die Entdeckung der Substanz und deren Geschichte als potenzielles Medikament. Der zweite Abschnitt zielt auf die Verwendung von LSD als Waffe ab, wobei hier hauptsächlich staatliche Institutionen der USA und deren semilegale Forschung »MK Ultra« der 1960er und 1970er Jahre zur Sprache kommen. Die heute wohl am weitesten verbreitete und bekannte Funktion des LSD – als Rauschmittel – ist Inhalt des dritten Abschnitts. Abgerundet wird das Buch durch einen sehr persönlichen Epilog, der die Verwendung des LSD bei der Demenzerkrankung der Mutter des Autors schildert.
Eine Fülle von Informationen, unterhaltsam präsentiert
Spannend ist die Nacherzählung einer Reise des Autors nach Basel mit dem Ziel, Archive jener Firma zu besuchen, die seinerzeit das LSD entdeckt hatte und herstellte. Besonders im zweiten Teil liest sich das Sachbuch dann fast wie ein Spionageroman, wobei sein Inhalt zu jeder Zeit durch Quellenverweise und Fußnoten gut belegt ist.
Während die an der Geschichte der Substanz beteiligten Personen immer sehr differenziert betrachtet werden, kann man dies von der Darstellung des LSD selbst nicht behaupten. Es wird durchgehend in ein positives Licht gerückt – abgesehen von wenigen Situationen, in denen (teils absichtlich) massiv überdosiert wurde. Andere Stoffe oder Medikamente werden dagegen oft negativ bewertet. Etwas ratlos lassen einen auch Passagen zurück, in denen eindeutig eine Voreingenommenheit gegenüber Regierungsstellen zu spüren ist. So wird ohne weitere Erklärungen am Ende eines Kapitels behauptet, dass John F. Kennedy durch Kugeln »aus dem Dunstkreis des amerikanischen Staatsapparats« den Tod gefunden habe – eine Anspielung auf die weit verbreitete, aber allgemein als widerlegt geltende Hypothese der Ermordung des Präsidenten durch die oder im Auftrag der CIA.
Zusammenfassend bleibt dennoch festzuhalten, dass Ohlers Werk ein sehr interessantes und wunderbar zu lesendes Sachbuch ist. Es zeigt: Der Weg des LSD führte über marktwirtschaftliche, politische, militärische und ideologische Hürden hinweg und – seit der jüngsten Renaissance der Halluzinogenforschung – endlich wieder hin zu seiner ursprünglich geplanten Verwendung: als Medikament, das Menschen hilft. In »Der stärkste Stoff« kann man das LSD auf dieser Reise begleiten.
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