Auf Luzifers Schneide
Wer heute vom Teufel redet, der Menschen zu Sündern mache, klingt engstirnig und verklemmt. Brachte man den Leibhaftigen früher doch überwiegend mit sexuellen "Vergehen" in Zusammenhang. In Europa begann der christliche Glaube an den Teufel ab dem 17. Jahrhundert zu bröckeln. Seine grausigsten Höhepunkte erreichte er während der Hexenverfolgungen, die bis ins 18. Jahrhundert andauerten.
Kurt Flasch, emeritierter Professor für mittelalterliche Philosophie, der 2013 in einem Buch begründete, "Warum ich kein Christ bin", erzählt im vorliegenden Werk ausführlich die Geschichte des Teufels, die vor allem eine Geschichte christlicher Theologie und christlichen Volksglaubens ist. Im Judentum und im Islam dagegen spielt die Personifizierung des Bösen nur eine untergeordnete Rolle.
Mächtig, aber nicht allmächtig böse
Von Anfang an hinterließ der Teufel im Christentum seine Spuren – beginnend mit den Versuchungen, denen Jesus in der Wüste widerstand, bis zum heutigen Exorzismus, der selbst in Europa immer noch praktiziert wird. Zum ebenbürtigen Gegengott reichte es in den Mythen allerdings nie: Der Leibhaftige blieb untergeordnet, musste sich seine Taten sogar von Gottvater absegnen lassen, schließlich bestand eine Kooperation zwischen Himmel und Hölle. Der Teufel, gefallener Engel, organisierte zusammen mit anderen Engelswesen, die sein Schicksal teilten, das Straflager für die Sünder. Ob er "im Auftrag des Herrn" Menschen in Versuchung führt oder ob er eigenmächtig tätig wird, beispielweise um Naturkatastrophen auszulösen, sind Fragen, die Theologen mit größter Vorsicht angehen müssen. Denn eine "falsche" Antwort kann leicht so ausgelegt werden, dass die Verantwortung für satanische Taten beim Gottvater liegt. Jedenfalls stimmen die Mythen darin überein, dass dem Teufel die besonderen göttlichen Eigenschaften wie Allwissenheit und Allmächtigkeit fehlen.
Was will uns der Autor mit seinem Buch sagen? Einerseits führt er absurde Aspekte religiöser Weltbilder vor, die nur funktionieren können, solange Menschen einen naiven Glauben und verantwortungsloses Gottvertrauen hegen. Aufgeklärte und gebildete Bürger, die über einen Schuss postmodernen Selbstzweifels verfügen, können sich mit Teufelsvorstellungen nicht mehr arrangieren. Mit dieser wenig überraschenden Erkenntnis erweist sich das Buch als Fortsetzung von "Warum ich kein Christ bin".
Andererseits übt der Satansmythos gerade heute wieder eine gewisse Anziehungskraft aus, erleichtert er doch, oberflächlich betrachtet, die so schwierig gewordene Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Wer das personifizierte Böse als existent erachtet, erhält vermeintlich wieder klare ethische, soziale und politische Orientierungen. Schon die spätantiken Theologen waren sich jedoch der Schwierigkeit bewusst, teuflische Taten als solche zu erkennen. Am besten gelingt das, wenn man sich einer Autorität unterordnet, die derlei Unterscheidungen für alle Untertanen bindend trifft. Teufelsglaube schafft und zementiert also Hierarchie – und wer sich in sie einfügt, verlangt das oft auch von anderen.
Schlafender Fundamentalismus
Vor diesem Hintergrund warnt Flasch davor, dass im Christentum weiterhin gefährliche Vorstellungen schlummern, die wiedererweckt zu brutalem Fundamentalismus führen können, wie wir ihn gerade im Islam erleben. Teufelsvorstellungen seien immer damit einhergegangen, Fremde oder Andersartige zu Feinden zu erklären, die man vernichten müsse und mit denen es keine Form des Zusammenlebens geben dürfe. Ein Ergebnis hiervon sei die Verfolgung von Homosexuellen in Teilen Afrikas und Lateinamerikas.
Während "Warum ich kein Christ bin" eine kompakte Analyse christlicher Theologie bot, verläuft sich das neue Buch in wissenschaftlich korrekten, aber weitschweifigen Erläuterungen, die der Lektüre die Spannung nehmen. Flasch verfehlt sein erklärtes Ziel, eine gut lesbare Abhandlung vorzulegen – auch da er seltsamerweise auf die amüsanten wie gruseligen Pointen verzichtet, die der Stoff zuhauf birgt. Sein Werk ist zu ernst, zu schwerfällig und löst sich zu wenig von der Theologie.
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