Direkt zum Inhalt

Leben mit der Zuckerkrankheit

Eine Diabetikerin und Journalistin regt zu einem anderen Umgang mit der Krankheit an.

Diabetes ist heilbar – dieser Buchtitel hört sich zunächst provokativ an, denn viele Diabetiker(innen) wissen, dass sie ein Leben lang Insulin benötigen werden. Wer genau hinschaut, sieht auf dem Einband auch, dass sich der Titel einschränkend auf Diabetes Typ 2 bezieht. Trotzdem ist das Werk ebenso für Typ-1-Diabetiker lesenswert – umso mehr, da die Autorin Svea Golinske selbst daran leidet und aus guten Gründen davon überzeugt ist, dass auch mit der Krankheit ein »langes, genussvolles und freies Leben« möglich ist.

Golinske ist Journalistin und hat sich bisher vor allem mit Gesundheit, Ernährung und Sport befasst. Für dieses Buch hat sie zahlreiche ausgewiesene Experten und Praktiker in Deutschland, England und den USA interviewt. Einfach und verständlich erklärt sie, was Diabetes ist und wie unser Kohlenhydrat-Stoffwechsel funktioniert.

Zweischneidiges Insulin

Die Autorin betont, dass Insulin zwar den Blutzuckerspiegel senkt, aber auch dick macht. Denn das Hormon regt die Körperzellen dazu an, Glukose aus dem Blut aufzunehmen und in Fett umzuwandeln. Übergewicht verschlimmert die Symptome der Zuckerkrankheit – einen Diabetes mit Insulin zu behandeln, kann also einen Teufelskreis in Gang setzen. Golinske meint, vor allem ein zu hoher Kohlenhydratanteil in der Nahrung sei für Blutzuckerspitzen und hohen Insulinverbrauch verantwortlich. Nicht selten zögen hohe Insulingaben Unterzuckerungen nach sich, die mit einer weiteren Kalorienzufuhr ausgeglichen werden müssten.

Immer wieder kritisiert die Journalistin, die offiziellen Ernährungsrichtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) seien veraltet. Tatsächlich empfiehlt die DGE Diabetikern eine Drosselung der Proteinzufuhr, um die vom Diabetes häufig mit betroffenen Nieren zu schützen, sowie einen möglichst zurückhaltenden Fettverzehr, um eine weitere Gewichtszunahme zu vermeiden. Das bedeutet aber zwangsläufig einen höheren Kohlenhydratanteil in der Nahrung, der laut DGE weitgehend durch Ballaststoffe ersetzt werden sollte. Da viele Kohlenhydrate dem Körper viel Insulin abverlangen, wird ein Kreislauf initiiert, der letztlich in eine Insulinresistenz münden kann.

Golinske plädiert für eine kohlenhydratarme (»Low-Carb-«) Ernährung auch für Diabetiker. Ihre Argumente: Die Fettaufnahme im Körper erfordert keine Insulinausschüttung, und Proteine bewirken einen sehr langsamen Anstieg des Blutzuckers, der mit viel weniger Insulin kompensiert werden kann als bei einer kohlenhydratreichen Ernährung. Die Autorin spricht sich daher für einen deutlich höheren Protein- und Fettgehalt in der Diabetiker-Nahrung aus.

Zucker in der Kritik

Manipulierte Studien aus den 1960er Jahren hätten dazu geführt, so Golinske, dass sich die Ernährungsmediziner lange Zeit irrtümlich auf Fette als Krankheitsverursacher fokussiert hätten. Der wahre Übeltäter jedoch sei der Zucker. Mit dieser Auffassung steht sie nicht allein. Viele Experten empfehlen ihren Patienten schon jetzt eine kohlenhydratarme Kost, doch die Richtlinien der DGE sind noch nicht aktualisiert worden – unter anderem deshalb, weil »es schon mal dauern kann, wenn man 50 Experten-Meinungen auf einen gemeinsamen Nenner bringen möchte«, wie es einer der befragten Experten im Interview ausdrückte.

Golinske scheut nicht davor, den Finger in die Wunde zu legen und systemische Gründe für das Versagen von Diabetestherapien zu nennen. Während es für Insulinpatienten von den Krankenkassen eine zusätzliche Kopfpauschale gebe, erörtert sie, würden langwierige Arztgespräche, um Patienten von einer Änderung des Lebensstils und der Ernährung zu überzeugen, von den Kassen nicht extra vergütet. Da wundert es nicht, wenn Mediziner den Weg des geringeren Widerstands (und des höheren Profits) wählen und selbst Typ-2-Diabetikern frühzeitig eine Insulintherapie empfehlen. Hinzu kommt, dass Ernährungsberatungen, die nicht nach DGE-Richtlinien erfolgen, von den Krankenkassen nicht bezahlt werden.

»Diabetes ist heilbar« wartet auch mit ganz praktischen Tipps auf. Dazu gehören ansprechende und gut umzusetzende Rezepte ohne exotische Zutaten sowie Ratschläge zu Sport und Bewegung. Wichtig sei, überhaupt in Bewegung zu kommen, schreibt die Autorin – Hauptsache, man gerate ins Schwitzen. Die von ihr beschriebenen Übungen sollen mit wenig Zeit und Engagement machbar sein. Golinske schildert anschaulich, wie segensreich Muskelaufbau und körperliche Bewegung auf den Insulinhaushalt wirken und dass man mit ihrer Hilfe den Krankheitsverlauf aktiv beeinflussen kann.

Da sich alle Maßnahmen, die Golinske in dem Buch beschreibt, auch auf die Stoffwechsellage von Typ-1-Diabetikern günstig auswirken, ist das Buch für sämtliche Diabetespatienten lesenswert.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Wie das Immunsystem wieder normal werden könnte

Neue Hoffnung bei Autoimmunkrankheiten: Erfahren Sie in unserem Artikel, wie innovative Behandlungsansätze das Immunsystem wieder normalisieren könnten. Plus: Warum gehen Wahlen oft knapp aus? Einblicke in die Mathematik politischer Entscheidungen.

Spektrum - Die Woche – Süßes Gift?

Entdecken Sie die Vorteile und Risiken einer zuckerfreien Ernährung in unserem Artikel »Süßes Gift«. Plus: Erfahren Sie in unserer Kolumne, warum im amerikanischen Wahlsystem nicht immer die Partei mit den meisten Stimmen gewinnt. Jetzt mehr erfahren!

Spektrum - Die Woche – Ein langes Leben ist kein Zufall

Wie schafft man es, besonders alt zu werden und dabei fit und gesund zu bleiben? Die Altersforscherin Eline Slagboom weiß, welche Faktoren wir beeinflussen können - und welche nicht. Außerdem in dieser »Woche«: Wie Spannbetonbrücken einfach einstürzen können - und wie man das verhindern kann.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.