»Die anderen Geschlechter«: Diversität verstehen und respektieren
»Ich denke, wir müssen mit Offenheit an die Themen herangehen und jeder einzelnen Person gut zuhören, um zu verstehen, was sie braucht.« In diesem Satz formuliert Dagmar Pauli die Essenz einer komplexen Diskussion um die Geschlechtsidentität. Die Autorin ist Chefärztin und medizinisch-therapeutische Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Im Vorwort erzählt sie, dass sie lange gezögert habe, ein Buch über dieses emotionsgeladene Thema zu schreiben – auch in dem Wissen, dass sich Datenlage und gesellschaftliche Einstellungen rasant verändern. Ein Glück, dass sie es letztlich getan hat und den Lesenden so einen Einstieg in die verschiedenen Dimensionen des Themas ermöglicht.
In ihrem Buch lässt Dagmar Pauli auch trans und nichtbinäre Jugendliche beziehungsweise Erwachsene zu Wort kommen, die von ihren Erlebnissen, Gefühlen und Gedanken berichten. Viele Menschen können sich, so die Autorin, nicht vorstellen, was es bedeute, sich mit der eigenen Geschlechtsidentität unwohl zu fühlen. Die Erfahrungsberichte in diesem Buch bieten dazu wertvolle Einblicke.
Toleranz statt Druck
Bereits die Einleitung reißt mit: Die Ärztin berichtet darin von Lorena, einer Transfrau, die einst Paulis Einstellung zum Thema komplett veränderte. Diese Erzählung macht deutlich, dass jeder Mensch immer dazulernen kann. Und oft sind es die persönlichen Schicksale, die zum Umdenken ermutigen. So stehen lebenslanges Lernen und die Offenheit für Veränderungen im Mittelpunkt des Buchs. Dagmar Pauli geht auf mögliche Ängste von Familien und gesellschaftlichen Gruppen ein. Dabei tut sie deren Befürchtungen nicht leichtfertig als überflüssig oder falsch ab. Vielmehr erklärt sie, welche Unsicherheiten bestehen und was Kinder und Jugendliche auf dem Weg zur Identitätsfindung wirklich brauchen.
Zudem macht sie klar, dass Fehler im Sprachgebrauch in Ordnung sind. Niemand verlangt, dass sich alle im Detail mit einer genderkonformen Sprache auskennen und das Sternchen oder den Doppelpunkt immer an der »richtigen« Stelle setzen. Verwendet man allerdings absichtlich die falschen Pronomen bei einer Person – etwa »er« bei einer Transfrau –, ist das eine klare Positionierung. Wer sich unsicher ist, darf das Gegenüber fragen: »Mit welchen Pronomen möchtest du angesprochen werden?«
Gerade bei jüngeren Menschen ist die Geschlechtsidentität mitunter noch nicht gefestigt. Dagmar Pauli plädiert dafür, in solchen Fällen keinen Druck auszuüben. Vielmehr gehe es darum, diesen Menschen den Raum zu geben, sich selbst zu verstehen. Sonst könne es passieren, dass sie sich in eine Rolle gedrängt fühlten, die nicht zu ihnen passe. Die Autorin plädiert dafür, jeden Menschen zu respektieren – ungeachtet dessen, welches Geschlecht ihm bei der Geburt zugewiesen wurde. Mit ihren Beschreibungen liefert Dagmar Pauli all jenen wertvolles Wissen, die sich ernsthaft mit dieser Thematik beschäftigen möchten. Zugleich gibt ihr wichtiges Buch Denkanstöße für ein besseres Miteinander.
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