Vom Kampfgerät zur Turnierwaffe
Kann man Tötungsmaschinen einen ästhetischen Wert zuweisen? Das ist die Frage, die sich schon angesichts des Buchtitels »Die Armbrust – Schrecken und Schönheit« aufdrängt. Der Begleitband zur gleichnamigen Sonderausstellung, die noch bis zum 8. März 2020 im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen ist, greift dieses Problem mehrfach auf.
Schon im Vorwort betont Raphael Gross, Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, dass bereits die Architektur und der Skulpturenschmuck des Berliner Ausstellungsgebäudes (das einst als Waffenarsenal fungierte) der Kriegsverherrlichung diente und man sich von dieser Tradition des Hauses selbstredend distanziert – auch wenn dort jetzt wieder Waffen zur Schau gestellt werden. Zudem widmet sich der erste Beitrag des rund 100 Seiten starken Essay-Teils unter dem Titel »Instrumente der Gewalt – Waffen im Museum« dieser Ambivalenz.
Von Römern, Chinesen und Normannen eingesetzt
Speziell auf die Geschichte des Berliner Bestands an Armbrusten geht Kurator Sven Lüken im nachfolgenden Beitrag ein. Zur Sprache kommen dabei auch die Kriegsverluste und die Tatsache, dass sich ein Teil der ehemaligen Sammlung noch immer als Kompensationsobjekte für die erlittenen Schäden im Zweiten Weltkrieg im Staatlichen Historischen Museum in Moskau befindet.
Derselbe Autor beleuchtet danach »die Armbrust in Krieg und Frieden« und stellt Römer, Chinesen und Normannen als wichtige Erfinder und Entwickler der Armbrust vor, welche zunächst eine reine Kriegswaffe war. Gegenüber Pfeil und Bogen, deren Handhabung ziemlich viel Training erforderte, war die Armbrust mit ihren Bolzengeschossen relativ einfach zu bedienen. Zudem bot sie im Gegensatz zum Bogen den Vorteil, im Vollauszug einzurasten, so dass der Schütze sie nicht aus eigener Kraft gespannt halten musste. Es ließ sich mit der geladenen Waffe also beliebig lange auf einen günstigen Moment warten, um zu schießen – was vor allem bei Belagerungen von Bedeutung war.
Zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert wurde die Armbrust im Kampfgeschehen zunehmend durch Feuerwaffen ersetzt. Damit begann ihre Zeit als »Armbrust im Frieden« – als repräsentative Waffe bei der Jagd, welche lange Zeit ein Privileg des Adels blieb, und bei friedlichen Schießturnieren der städtischen Bürgerschaft, aus denen sich die deutsche Schützenvereinstradition entwickelte.
Vor allem in Renaissance und Barock avancierte die Armbrust zur dekorativen Jagdwaffe und Gegenstand der herrschaftlichen Repräsentation, der mit reichen Ornamenten geschmückt wurde. Den dabei verwendeten Bildmotiven, die oft biblische Szenen darstellen, widmet sich ein eigenes, reich bebildertes Kapitel aus der Feder von Brigitte Reineke, Leiterin der Provenienzforschung am Deutschen Historischen Museum.
Die prunkvolle Ornamentik, etwa in Gestalt eingelegter Reliefschnitzereien aus Geweihstücken, kam allerdings erst nach und nach auf. Die historisch bedeutsamsten Objekte der Sonderausstellung, zwei Waffen aus dem Besitz Kaisers Maximilian I. von Habsburg (1459-1519), sind noch vergleichsweise schlicht gestaltet. Der oft als »letzter Ritter« titulierte Monarch lehnte den Gebrauch von Feuerwaffen bei der Jagd explizit ab und verstand die Nutzung der Armbrust als körperliche Ertüchtigung und Erprobung des persönlichen Muts.
Der abschließende Essay von Jens Sensfelder, einem ausgewiesenen Fachmann für den Nachbau von Armbrusten, behandelt technische Aspekte dieser Waffe im Allgemeinen und deren historische Entwicklung. Es zeigt sich hier, dass die Waffe ein aufwändig herzustellendes Gerät war, das allein schon der verschiedenen verarbeiteten Materialien wegen nur durch Zusammenwirken mehrerer Spezialisten produziert werden konnte.
Dem ausführlichen Katalogteil sind Schnittzeichnungen vorangestellt, die einschlägige Fachbegriffe veranschaulichen. Lediglich der Terminus »halbe Rüstung«, der mehrfach auftaucht, wird nirgends erklärt (er bezeichnet Größe und Gewicht der Waffe; es gibt »ganze« und »halbe« Rüstungen). Der erläuternde Text vermittelt fast nebenbei, dass es etymologisch korrekt eigentlich »Armrust« statt »Armbrust« heißen müsste, man aber die eingebürgerte Bezeichnung beibehalten hat – deswegen jedoch wenigstens im Plural von Armbrusten und nicht –brüsten spricht.
Jedes Objekt der 94 Katalognummern erscheint ausführlich beschrieben und auf je mindestens einer Farbaufnahme dargestellt. Zu dekorierten oder technisch interessanten Stücken gibt es zudem ergänzende Detailansichten. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis vervollständigt die rundum geglückte Zusammenstellung.
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