Nüchternheit und Ästhetik
Der Autor unterrichtet seit mehr als 30 Jahren Mathematik an einem Schweizer Gymnasium und ist seit längerer Zeit als Fachdidaktik-Dozent für Mathematik an der ETH Zürich tätig. Zehn Jahre lang versuchte er zudem, mit monatlichen Beiträgen in verschiedenen Schweizer Zeitungen sein Publikum für Mathematik zu interessieren; eine Sammlung jener Artikel lässt sich auf seiner Homepage einsehen. Diese Expertise und dieses Anliegen des Autors spürt man in dem Buch, dessen 13 Kapitel einige Themen aufgreifen, mit denen sich Barth bereits in seinen Zeitungsbeiträgen beschäftigt hat.
Dem Ziel der Reihe »Edition Zeitblende«, »schön gestaltete, gut gedruckte Bücher« zu veröffentlichen, wird das Werk durchaus gerecht. Ungewöhnlich ist das Format mit zirka 18 mal 29 Zentimetern, aber auch die grafische Gestaltung. Die zahlreichen handschriftlichen Zahlenreihen, etwa die ersten 700 Ziffern der Wurzel aus zwei zeigend, die übergroß notierten Gleichungen und die Grafiken sind interessante »Hingucker«. Zeichnungen, die professionell vom Grafikdesigner Helmut Brade angefertigt wurden, vermitteln beim ersten Hinschauen den Eindruck, als habe jemand Skizzen zu den behandelten Themen angefertigt, so wie es die Leser vielleicht auch selbst gemacht hätte. Man erfährt nicht, ob dies die Absicht der Herausgeber war – es gibt weder ein Vor- noch ein Nachwort. An der Professionalität der grafischen Gestaltung besteht kein Zweifel, nur manches Mal hätten zusätzliche schlichtere Darstellungen, die nicht wie bloße Skizzen wirken, das Verständnis besser unterstützt.
Aha-Moment mit Gödel
Auf den jeweils letzten Seiten eines Kapitels finden sich Aufgaben, die der Autor zur weiteren Beschäftigung gestellt hat. Erfreulicherweise kann man in einem beigefügten Heftchen deren Lösungen nachlesen. Die leeren Seiten mit Rechenkästchen zwischen den Kapiteln werden wahrscheinlich nur wenige für eigene Notizen nutzen. Am Ende des Buchs steht leider nur ein Namensregister (tatsächlich nennt der Autor ziemlich viele Personen) –, Stichwortverzeichnis und Literaturhinweise sucht man vergebens. Es empfiehlt sich, bei der Lektüre die Reihenfolge der Kapitel beizubehalten, denn immer wieder greift Barth auf Darstellungen aus vorangehenden Abschnitten zurück.
Zunächst widmet sich der Autor der Frage, was Mathematik eigentlich ist, wie sie entstanden ist, was sie ausmacht, ob sie nützlich ist und schön. Einen Aspekt dieser Ästhetik führt er auf, indem er auf seinen persönlich größten Aha-Moment verweist, in dem er zum ersten Mal den Beweis der gödelschen Unvollständigkeitssätze verstanden hatte. Für Barth war das ein »Erlebnis reinster und unübertrefflicher Schönheit«. Auf die gödelschen Sätze, an denen die Grenzen der mathematischen Erkenntnisgewinnung deutlich werden, geht er später noch überzeugend ein.
In mehreren Abschnitten greift Barth ausgewählte Themen der Mathematikgeschichte auf, etwa die Frage, wie der Übergang von natürlichen Zahlen und Brüchen zu den irrationalen Zahlen gelang und was Abzählbarkeit von unendlichen Mengen bedeutet (mit einem Exkurs in die cantorschen Verfahren). Das siebte Kapitel trägt den witzig gemeinten Titel »Matratzen-Mathematik«, was auf die kleinsche Vierergruppe der Bewegungen verweist, durch die man eine Matratze in ihre vier möglichen Lagen bringen kann. Der Autor erzählt hier spannend von der Suche danach, wie sich Gleichungen dritten Grades lösen lassen. Er geht auch auf die Geschichte des tragischen Tods von Evariste Galois ein. Dieser hatte als Erster erkannt, dass es gruppentheoretischer Überlegungen bedarf, um die Frage nach der Lösbarkeit von Gleichungen höheren als vierten Grades zu beantworten.
Anhand alltäglicher Situationen verdeutlicht Barth, auf welch vielfältige Weise technisch-wissenschaftliche Verfahren, die auf mathematischen Methoden beruhen, unseren Alltag prägen. Hierzu zählen das Einscannen von Produkten mit GTIN-Code; Bezahlvorgänge mit EC-Karten; Wetter-Apps; GPS-Navigation und vieles mehr – bis hin zur Computertomografie. Auch die Bedeutung der Graphentheorie für die heutige Logistik greift der Autor auf, wobei er sie nur andeuten kann. Die beiden Probleme, die er hier aufführt, lassen sich wohl eher der Unterhaltungsmathematik zurechnen: das klassische Alkuin-Problem eines Fährmanns, der Ziege, Wolf und Kohlkopf über einen Fluss bringen soll; sowie die Lösung des Spiels »Instant Insanity«. Mathematische Probleme in Kinofilmen, vom »da Vinci-Code« bis »A Beautiful Mind«, sind ebenfalls Thema.
Die Frage, was einen Beweis ausmacht und was man unter der »axiomatischen Methode« versteht, behandelt der Autor ziemlich am Ende seines Werks. Dort hat er auch acht mathematische Probleme zusammengetragen, deren Lösungen er auf sehr verschiedene Weise ausführt, wobei er diverse Strategien überzeugend vorstellt und dabei beantwortet, was mathematische Argumentation und Beweisführung ausmacht.
Insgesamt ein lesenswertes Buch, das sich für alle an Mathematik interessierten Leserinnen und Leser eignet. Man merkt dem gut lesbaren Stil an, dass der Autor jahrzehntelange Erfahrung im Vermitteln mathematischer Inhalte hat. Vermutlich konnte er nur einen Teil seines Erfahrungsschatzes auf den rund 200 Seiten unterbringen. Auf eine Fortsetzung darf man gespannt sein.
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