»Die dreckige Seidenstraße«: Die »Neue Seidenstraße« in Nahaufnahmen
Vor genau zehn Jahren, im Herbst 2013, trat der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping mit einem aufsehenerregenden Plan an die Öffentlichkeit. In seiner Rede in der kasachischen Hauptstadt Astana versprach er, China werde weltweit groß angelegte Infrastrukturprojekte realisieren. Im Rahmen der sogenannten Belt and Road Initiative (BRI) werde China gar eine »Neue Seidenstraße« errichten. Im Jahr 2017 stockte Xi das entsprechende Programm weiter auf und sagte Kredite in Höhe von acht Billionen US-Dollar zu – ein noch nie dagewesenes Volumen.
Die Kreditnehmer, Dutzende Länder vor allem des Globalen Südens, verbanden mit den Investitionen große Hoffnungen – vor allem auf wirtschaftliche Entwicklung. Die durch die Investitionen geschaffene Infrastruktur – Häfen, Autobahnen oder Eisenbahnverbindungen – sollte ihrerseits einen Wirtschaftsboom auslösen. Im Westen hingegen weckte die BRI schnell die Befürchtung, dass China mit diesen Instrumenten auch seinen politischen Einfluss massiv ausbauen könnte.
Mit seinem Buch »Die dreckige Seidenstraße. Wie Chinas Wirtschaftspolitik weltweit Staaten und Demokratien untergräbt« zieht der Journalist Philip Mattheis nun Bilanz. Der Autor ist für diese Aufgabe gut gerüstet: Von 2011 bis 2015 arbeitete er als Korrespondent in China und erlebte die Anfänge der BRI vor Ort mit. Danach berichtete er zunächst aus Istanbul über den Nahen Osten und anschließend wieder aus China.
Für sein Buch ging Mattheis auf Weltreise und folgte den Spuren der »Neuen Seidenstraße«. Er besuchte unter anderem Sri Lanka, um sich den Hafen von Hambantota anzusehen. Dieser hatte weltweit für Schlagzeilen gesorgt, weil sich Sri Lanka für seinen Bau so hoch verschuldet hatte, dass chinesische Unternehmen den Hafen im Gegenzug für einen Schuldenerlass für 99 Jahre pachten konnten. Mattheis reiste auch nach Zentralasien, um einen riesigen Güterbahnhof in Kasachstan zu besichtigen, der als Relaisstation für Züge zwischen China und Europa dient. Und er legte einen Stopp in Kenia ein, wo mit chinesischer Hilfe eine neue Eisenbahn vom Hafen Mombasa aus bis tief ins Landesinnere gebaut wurde.
Ein differenziertes Bild chinesischen Engagements
Manchmal stand Mattheis vor verschlossenen Türen. Den Hafen von Hambantota zum Beispiel durfte er nicht betreten. Einige Male halfen ihm auch ortskundige Einheimische, zumindest einen Blick auf die neu gebauten Anlagen werfen zu können. So oder so: Mattheis‘ zahlreiche Gespräche mit Politikern, Anwohnern, Aktivisten und Wissenschaftlern vermitteln in jedem Fall interessante Einblicke aus lokaler Perspektive.
Dabei zeigt sich – dem Titel des Buches zum Trotz – ein differenziertes Bild. Denn einerseits bestreitet niemand die dringende Notwendigkeit von Investitionen in die Infrastruktur; teilweise hagelt es auch Kritik an der als zu schwerfällig empfundenen Hilfe aus dem Westen, die zudem oft mit zahlreichen Auflagen verbunden ist. Im Gegensatz dazu werden auch große Projekte aus China zügig genehmigt und umgesetzt. Dies beeindruckt immer wieder.
Auf der anderen Seite äußern viele Gesprächspartner Kritik. Vor allem an der intransparenten Art und Weise, wie die Projekte von China genehmigt und meist auch von chinesischen Firmen umgesetzt und gemanagt werden. Oft scheint der Preis für die schnelle Planung und Durchführung eine nur oberflächliche Prüfung zu sein. Im Ergebnis sind viele Projekte überdimensioniert und wirtschaftlich nicht tragfähig. So konnte der Hafen von Hambantota nie die erhofften Einnahmen erzielen. Auch andere groß angekündigte Projekte blieben auf halbem Wege stecken. So wurde die geplante Strecke von Mombasa ins Innere Afrikas tatsächlich nur bis zur kenianischen Hauptstadt Nairobi fertiggestellt und der Bau dann plötzlich eingestellt.
Mattheis widerlegt mit seinen Recherchen aber auch eine häufig vorgebrachte Kritik: Immer wieder äußerten Politiker vor allem im Westen den Verdacht, die chinesische Führung wolle die Empfängerländer mit riesigen Krediten bewusst in eine Art Schuldenfalle locken. Dafür jedoch gebe es keine Belege, so Mattheis. Eine solche »Schuldenfallen-Diplomatie« brächte für China letztlich auch keine Vorteile, meint der Autor. Schon jetzt leide Chinas Ruf als »Freund der Länder des Globalen Südens« unter den hohen Kosten vieler Projekte. Auch wenn es sich dabei oft eher um Fehlplanungen handele, wie sie auch in China selbst immer wieder vorkämen, so Mattheis.
Die vielen Reisen, die der Autor für seine Recherchen unternommen hat, kommen dem Buch ungemein zugute. Denn Mattheis kann anschaulich von vor Ort berichten und mühelos zwischen seinen Eindrücken und abstrakteren Analysen wechseln. Dabei kommt der Text ohne politikwissenschaftlichen Jargon aus und ist entsprechend gut lesbar.
In den vergangenen Jahren haben die EU und die USA versucht, der chinesischen »Neuen Seidenstraße« eigene Infrastrukturprogramme entgegenzusetzen. Doch statt das chinesische Modell zu kopieren, so zeigt Mattheis‘ Buch, sollten die westlichen Länder besser aus den Problemen der eigenen und der chinesischen Programme lernen. Die Länder des Globalen Südens bräuchten weniger »Hilfe« und gute Ratschläge, sondern mehr Möglichkeiten für eine ernsthafte wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Ausbau ihrer Infrastruktur. Aber sie benötigten keine Billionen-Dollar-Programme, die ohne seriöse Analyse überstürzt durchgezogen werden.
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