»Die einfachste Psychotherapie der Welt«: Erzählen gegen Trauma und Angst
»Es gibt keine größere Qual, als eine unerzählte Geschichte in sich zu tragen.« Mit diesem Zitat der Schriftstellerin Maya Angelou beginnt Maggie Schauer ihr Buch über »Die einfachste Psychotherapie der Welt«. Damit meint sie den Ansatz der Narrativen Expositionstherapie (NET), den die Psychotraumatologin mitentwickelt hat. Es handelt sich um eine Methode, die Traumata heilen will, indem sie sich auf das Erzählen der Lebensgeschichte durch die Betroffenen fokussiert. Vielleicht fragen sich manche, warum dieser Therapie ein gut 300 Seiten starkes Buch gewidmet wird, wenn sie doch so einfach sei; oder ob das Erzählen über das eigene Leben heutzutage nicht ohnehin Teil jeder Psychotherapie sei.
Bei der Lektüre wird einem jedoch bald bewusst, wie viele traumatisierte Menschen immer noch zum Schweigen verleitet werden und wie viel es dazu aus fachlicher Sicht zu sagen gibt. So sind jene, die in den ärmsten und am stärksten von Krisen gebeutelten Regionen leben, besonders von Traumatisierung bedroht, haben aber zugleich die geringsten Chancen auf eine therapeutische Behandlung. Und selbst wenn traumatisierte Menschen therapiert werden, steht dabei, so Schauer, oft nicht das Erzählen ihrer Geschichte im Mittelpunkt. Für die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung sei nämlich immer noch die Identifizierung eines spezifischen Traumaereignisses notwendig. Häufig liege jedoch eher eine Verkettung verschiedener »kleinerer Momente« der Vernachlässigung vor, die erst in Summe eine Traumatisierung auslösen und in der herkömmlichen Diagnostik oft unerkannt bleiben. Schließlich seien viele Fachkräfte immer noch unsicher im Umgang mit Traumata und konzentrierten sich zunächst auf die Behandlung von Süchten oder Ängsten, anstatt ein sie möglicherweise bedingendes Trauma zu ergründen.
Heilendes Erzählen
»Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.« Diese Worte von Ingeborg Bachmann, die Maggie Schauer zitiert, klingen wie ein Motto für ihre Therapiemethode. Schauer zufolge liegt einem Trauma die Unfähigkeit unseres Gehirns zu Grunde, Momente der Angst und Hilflosigkeit – vor allem, wenn sie sich wiederholen – einem Ort und einer Zeit und somit der Vergangenheit zuzuordnen. So können sie immer wieder durch winzige Sinneseindrücke wachgerufen werden. Symptombehandlungen wie Achtsamkeitsübungen seien daher, wenn sie zu früh verordnet würden, nicht nützlich. Wenn Traumata allerdings erzählt und in der Chronologie des gesamten bisherigen Lebens »ver-geschichtlicht« werden, so könne das ein Akt der Selbstermächtigung und Heilung sein, so die These der NET.
Eindrücklich belegt wird diese These durch die vielen Lebensgeschichten, die Maggie Schauer in ihrem Buch dokumentiert. Erwähnt sei, dass sie dabei auch detaillierte Beschreibungen von Gewalt nicht auslässt. Gleichzeitig erzählt sie aber berührende Erfolgsgeschichten; etwa die einer Frau, die aufhören kann, sich selbst für eine Missbrauchserfahrung in ihrer Kindheit zu verurteilen, weil sie das Erlebte erstmals aus ihrer eigenen Perspektive erzählt und dabei auch ihre Wut und Traurigkeit ausdrückt, über die sie als Kind mit niemandem sprechen konnte.
Geschichten wie dieser Raum zu geben, ist der Autorin ein großes Anliegen. »Jede Narration kann den Schweigenden Mut machen«, schreibt sie. Und sie betont, dass individuell Erfahrenes zu kollektiven Traumata führen kann und damit letztlich uns alle betrifft. So helfe Schweigen nicht den Opfern, sondern den Tätern, weil Wunden in der Familie weitergegeben würden, Traumata körperliche Erkrankungen begünstigten und zu Gewalt führen könnten. Mit ihren Erklärungen und zum Teil erschreckenden Statistiken belegt Schauer auf beeindruckende Weise die Zusammenhänge zwischen Trauma und Krieg, zwischen Körper und Seele.
Dass wir alle mit dem Erzählen aufwachsen, ist vielleicht eines der stärksten Argumente für die NET. Narrationen bilden die Grundlage unserer Kulturen und machen uns zu Menschen. Im Gegensatz etwa zum therapeutisch bewährten Verfahren der Konfrontation impliziert die NET zudem kein »Ankämpfen gegen den Schrecken«. Dies spricht für die Niedrigschwelligkeit dieser Therapieform, die ihr zu größerer Akzeptanz bei den Opfern ebenso wie bei Therapeutinnen und Therapeuten verhelfen könnte. Als sehr zugänglich erweist sich auch Maggie Schauers Buch. Ihre Erklärungen sind leicht verständlich und spannen zugleich thematisch einen weiten Bogen: von der Entstehung von Traumata über gesellschaftliche Missstände, die sie begünstigen, bis hin zu genauen Behandlungsabfolgen der NET. Der Aufruf zum Zuhören und Erzählen bezieht sich also tatsächlich auf etwas Einfaches; nach der Lektüre dieses Buchs hat man verstanden, warum er so wichtig ist.
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