»Die elektronische Patientenakte – das Ende der Schweigepflicht«: Rohrkrepierer ePA?
Kaum ein Thema im Gesundheitswesen wird so kontrovers diskutiert wie die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePa). Bis 2025 soll für mindestens 80 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger eine ePa eingerichtet sein. In sie stellen Ärztinnen und Ärzte sowie medizinische Einrichtungen die Gesundheitsdaten ihrer Patienten ein. Ziel ist es, wie sich auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums nachlesen lässt, wichtige Informationen für die Behandlung schnell zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel Befunde, Diagnosen, Therapiemaßnahmen, Behandlungsberichte und elektronische Medikationspläne. Der so ermöglichte Datenaustausch soll helfen, Therapien besser unter den behandelnden Ärzten abzustimmen. Ein strikter Gegner der elektronischen Patientenakte ist Andreas Meißner. Seine Position legt er ausführlich in diesem kleinen Büchlein dar. Meißner ist seit über 20 Jahren niedergelassener Psychiater und Psychotherapeut in München.
Wie praxistauglich ist die ePa?
Den postulierten Vorteil, dass die ePa die Kommunikation zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen verbessere und damit eine schnellere und bessere Behandlung ermögliche, sieht Meißner nicht: Suchfunktionen seien nur eingeschränkt möglich, so dass Dokumente und Befunde durchgeklickt werden müssten. Die Vollständigkeit der Daten sei ebenfalls nicht garantiert, schreibt Meißner. Das beginne schon damit, dass Dokumente nur bis zu einer Größe von 25 Megabyte hochgeladen werden könnten, aber etwa Röntgenbilder in der Regel größer seien. Zudem könnten Patientinnen und Patienten einzelne Daten verschatten oder Ärzten den Zugang zu Dokumenten verweigern. Gleich im Anschluss an diesen Einwand verweist Meißner auch darauf, wie die elektronische Erfassung der Gesundheitsdaten in anderen Ländern wie den USA, Tschechien oder Estland trotz hoher Investitionen nicht reibungslos zu verlaufen scheine.
Immer wieder betont Meißner die Bedeutung des Datenschutzes, den er bei der ePa auch nicht ansatzweise gewährleistet sieht. In diesem Punkt gibt es Überschneidungen mit den Ausführungen des Bundesgesundheitsministeriums, das in seiner Kommunikation ebenfalls einräumt, dass Daten auf Servern durchaus Hackerangriffen unterworfen sein könnten. Viel schwerer wiegt aber für den Autor, dass dieser Datenschatz Begehrlichkeiten vor allem in der Wirtschaft wecke, und selbst der Gesundheitsminister redet seiner Meinung nach in diesem Zusammenhang mehr über Wirtschaft und Märkte als über medizinische Versorgung.
Kann eine große Menge an Daten über KI-basierte Studien Erkenntnisse ermöglichen, die letztlich eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung bedingen? Auch das glaubt Meißner nicht: Bei komplizierten Fragestellungen in der Medizin gebe es eine hohe Fehleranfälligkeit in der Big-Data-Forschung. Er beruft sich dabei auf Statistiker, die argumentieren, dass Big-Data-Studien in der Medizin oft unstrukturierte Datenmengen zugrunde lägen. Diese seien eher unspezifisch in Bezug auf die Fragestellungen. Meißner entpuppt sich schließlich als Fan von Kohortenstudien, bei denen eine größere Anzahl von Menschen über einen längeren Zeitraum immer wieder untersucht und befragt wird.
Meißners Büchlein liest sich wie ein Abgesang auf die elektronische Patientenakte. Wer sich in seiner Ablehnung ihr und aller Neuerungen gegenüber, die mit der Erfassung großer medizinischer Datenmengen verbunden sind, bestärkt sehen möchte, wird dieses Buch goutieren. Leider bietet es seinen Lesern wenig Anknüpfungspunkte dafür, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Meißner wägt kaum Argumente gegeneinander ab, etwa indem er Befürworter zu Wort kommen ließe oder auf die Chancen einginge, die sich aus der Einführung der ePa ergeben.
Unvoreingenommene Leser können der Lektüre dennoch vielleicht noch folgende Botschaften entnehmen: »Die ePa ist ein länderübergreifendes Großprojekt, basierend auf einem Ansatz, der noch in den Kinderschuhen steckt. Ein Aspekt dieses Ansatzes ist der Gedanke, dass Verbesserungen in der Medizin schon oft aus anderen Disziplinen heraus angestoßen wurden – man muss sich nur anschauen, was etwa die Physik mit Blick auf Diagnose- und Therapiemöglichkeiten bewirkt hat. Nun unternimmt man den Versuch, Anwendungen künstlicher Intelligenz im Umgang mit großen Datenmengen für die Medizin fruchtbar zu machen. Dabei steht man zwar noch am Anfang, aber es könnte sich lohnen, diesen Ansatz weiterzuverfolgen.« Ein solches Fazit entspricht, wie gesagt, nicht den Positionen Meißners – ist aber immerhin möglich, wenn man den Informationsgehalt des Buchs aus einer anderen Perspektive beleuchtet.
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