Als Heilen zur Wissenschaft wurde
Wer den Untertitel des Buchs nicht aufmerksam liest, erlebt eine Überraschung. Denn es geht Robin Lane Fox nicht um eine historische Untersuchung der Medizingeschichte im alten Griechenland, vielmehr möchte er den Zeitpunkt bestimmen, wann sich die Medizin in der griechischen Antike als Wissenschaft nach gelebten Regeln, wiederkehrenden Analysen und fester Methodik, eingebettet in einen ethisch-philosophischen Kontext, manifestiert.
Die Geburt einer neuen Wissenschaft
So gelingt es ihm, in historischen Quellen das erste Auftauchen einer Wissenschaft »Medizin« nachzuweisen: zwischen 471 und 467 v. Chr. auf der blühenden Insel Thasos im nördlichen Griechenland. Der Weg, wie Fox zu diesem Resultat kommt, ist faszinierend und amüsant zu lesen, denn an pointierten Kommentaren mangelt es nicht.
Der Althistoriker fokussiert sich dabei auf geschriebene antike Quellen, lässt aber auch archäologische Funde und ikonografische Untersuchungen einfließen. Es ist mehr eine philologisch-kulturhistorische Untersuchung antiker Medizinfachliteratur und Texte mit einem Bezug zu Körper, Krankheit und Heilung denn eine Darstellung von Medizingeschichte und Fallberichten der Heilung.
Das Werk ist in drei Abschnitte eingeteilt. Der erste führt in die Medizin der griechischen Antike ein und bettet sie ins damalige Alltagsleben ein. Im folgenden Teil interpretiert und datiert Fox zwei in seinen Augen eng zusammengehörende Werke der »Hippokratischen Bücher«, einer antiken medizinischen Textsammlung. So ordnet er diese beiden einem historischen Verfasser zu, der vier Jahre auf Thasos lebte, praktizierte und seine Studien niederschrieb. Im dritten Abschnitt analysiert er diese beiden Schriften sprachlich und kulturhistorisch tiefschichtig. Damit einher gehen eine intensive und anschauliche Charakterisierung des vor 2500 Jahren lebenden Griechen, jenes ersten Mediziners, sowie eine Rekonstruktion seiner Denkweise, die erstaunlich modern wirkt: rationale Beobachtung und Prognosen an Stelle von spirituellem Beten und Opfern.
Auf den ersten Blick mag es enttäuschend scheinen, dass der Historiker nur eine geringe Darstellung der antiken Medizin und deren Entwicklung thematisiert. Nicht griechische Quellen wie ägyptische oder vorderasiatische erwähnt er lediglich als Randnotiz. Allerdings gelingt es ihm mit seinem Fokus auf die Zeit zwischen Archaik und Klassik und mit seiner umfassenden, vielschichtigen und äußerst lebendigen Darstellung der griechischen Gesellschaft, ein Bild derselben zu erzeugen, die ihresgleichen sucht.
Fox beschreibt ausführlich die Wechselwirkung zwischen Kunst, Philosophie, Naturwissenschaften und Medizin und wie diese einander beeinflussten. Kleinteilig untersucht er das Vorkommen von antiken Fachtermini in antiken medizinischen Texten und wie sich Sprache und Begriffe verändern. Ebenso macht er deutlich, wie sich bereits in der Antike Lehrmeinung, aber auch der Beruf des Arztes und die damit verbundene Berufsphilosophie entwickelten. Interessant sind dabei unter anderem die an vielen Stellen beiläufig eingebrachten antiken Auffassungen, die aus heutiger Sicht bisweilen abstrus wirken, etwa dass Muttermilch aus Menstruationsblut entstehe.
Allerdings baut die vielschichtige und anschauliche Präsentation einer lebendigen Antike auf vielen Argumentationsketten und Hypothesen auf, die der Autor als Basis für weitere Vermutungen sieht. Sein Medium ist das geschriebene Wort, wobei er Quellen aus mehr als 1000 Jahren Wirkung und Reflexion verwendet. Dabei ist kaum ein Primärwerk, auf das er sich bezieht, erhalten, sondern in der Regel nur spätere Anschriften und Kommentare.
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