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Rechtsruck in Deutschland

Seit 14 Jahren erfassen Wissenschaftler der Universität Leipzig die rechtsextremen Einstellungen der Deutschen. Ihre "Mitte-Studien" besitzen momentan eine besonders hohe Brisanz: Laut Bundeskriminalamt gab es im Jahr 2016 allein bis Mitte Oktober fast 800 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Rechtsextremismus setzt sich laut den Forschern aus der Befürwortung rechtsautoritärer Diktaturen, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus zusammen. Dabei zeichne sich seit einigen Jahren ein Wandel ab: Während die Ablehnung von Ausländern im Allgemeinen zurückgeht, nimmt die Diskriminierung speziell von Muslimen, Asylsuchenden sowie Sinti und Roma zu. Außerdem zeigt sich bei Rechtsgesinnten eine zunehmende Bereitschaft zur Ausübung von Gewalt, um eigene Interessen durchzusetzen.

Keine Randerscheinung

Zunächst beschreibt das Team aus Psychologen und Sozialwissenschaftlern ihre Erhebung aus dem Jahr 2016, bei der sie knapp 2500 Menschen in ganz Deutschland mit Hilfe standardisierter Fragebögen zu ihren politischen Ansichten befragt haben. Ergebnisse: Der Nationalsozialismus wird in Westdeutschland stärker als im Osten verharmlost. Katholiken bejahen mehr rechtsgesinnte Aussagen als Protestanten, Konfessionslose oder Anhänger anderer Religionen. Ein Viertel der rechtsextrem eingestellten Menschen wählt SPD oder CDU/CSU. 70 Prozent der AfD-Wähler sympathisieren mit der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung – mehr als bei jeder anderen Partei. Außerdem sind die Anhänger der AfD heute jünger und schlechter ausgebildet als noch vor zwei Jahren. Darüber hinaus scheinen sie besonders homophob, gewaltbereit und islamfeindlich zu sein. Die Wissenschaftler sehen in Pegida mehr als eine Empörungsbewegung – nämlich eine Gefahr für die Demokratie.

Im zweiten Teil, "Zum Stand der Zivilgesellschaft", gehen verschiedene Autoren wie Alexander Häusler auf die zentralen politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre ein, etwa die Entstehung der AfD, rechten Terror gegen Flüchtlinge oder den NSU-Prozess. Außerdem kritisieren sie immer wieder den Staat: Behördliche Definitionen wie die der Hasskriminalität seien ungenau und fokussierten sich ausschließlich auf besonders radikale Gruppierungen. Dadurch würden viele Straftaten erst gar nicht auf ihren politischen Hintergrund hin untersucht. Zudem müsse die Polizei offener gegenüber Kritik werden.

Das Buch punktet durch die ausführliche Beschreibung von Methodik und Ergebnissen der "Mitte-­Studie 2016" – obwohl das an manchen Stellen trocken wirkt und man den Überblick über die zahlreichen verwendeten Fragebögen verlieren kann. Nichtsdestoweniger ist es überwiegend verständlich geschrieben.

Warum rechtsextreme Ansichten sich anscheinend verbreiten, können die Leipziger Forscher nicht beantworten. Sie vermuten, dass weltweite Krisen, die Umstrukturierung des Sozialsystems, ein nach wie vor bestehendes Verständnis des deutschen Volks als Schicksalsgemeinschaft sowie ein ausgeprägter Ethnozentrismus dazu beigetragen haben. Die veränderten Einstellungen zeigten sich zum Beispiel in den Reaktionen auf die vielen Flüchtlinge, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind. Diese seien aber nicht der Auslöser. Die spannende Erhebung ist es wert, ein wenig Statistik in Kauf zu nehmen. Damit versteht man besser, wohin sich die Gesellschaft entwickelt hat.

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