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Der Totalerklärer

Oft scheinen die Natur- und die Geisteswissenschaften durch eine tiefe, unüberbrückbare Kluft voneinander getrennt zu sein. Die einen nutzen Daten, die anderen logische Zusammenhänge. Die einen arbeiten a posteriori (mit bereits gemachten Erfahrungen, empirisch), die anderen a priori (vor der Erfahrung, rein logisch). Bisweilen kommt es allerdings vor, dass ein Wissenschaftler an der Nahtstelle beider Welten die Grenze überschreitet. Etwa Werner Heisenberg, einer der Väter der Quantenmechanik, mit seinem 1969 erschienenen Band "Der Teil und das Ganze", in dem er die philosophischen Implikationen jener neuen Physik diskutierte, die er mitbegründet hatte.

Als ähnlich grenzüberschreitendes Werk versteht sich "Die Entschlüsselung des menschlichen Bewusstseins". Darin möchte der Autor Michael Prost einerseits erklären, woher der Mensch kommt, und andererseits den Konflikt zwischen Naturwissenschaftlern und Philosophen um das titelgebende Thema lösen. Eine vermittelnde Position will Prost einnehmen, der sich auf seiner Homepage als "Physiker, Unternehmer und Philosoph" vorstellt und durchaus akademische Grade in den genannten Fächern vorzuweisen hat. Gleichwohl scheitert er mit seinem Vorhaben auf ganzer Linie.

Rabiater Rundumschlag

Das Buch ist in 9 Kapitel unterteilt. Es beginnt mit der Entstehung des Universums, gefolgt von der evolutionären Entwicklung des Menschen und seines Bewusstseins. Sodann meint Prost die Argumente der Philosophen gegen den reduktionistischen Materialismus außer Kraft setzen zu können. In der Physik macht er theoretische Probleme aus, welche er kurzerhand vom Tisch wischt, indem er die Philosophie ad absurdum führt. Und zuletzt behandelt Prost auch noch die Fragen nach dem freien Willen und der Religion. Was wie ein Vorlesungsplan zur Einführung in die Geistesgeschichte klingt, ist leider noch weniger als das.

Das Buch scheitert vor allem an zwei Punkten. Einerseits wird es seinem wissenschaftlichen Anspruch nicht im Geringsten gerecht. So ist vielfach von "Studien" die Rede, ohne dass eine einzige Quelle angegeben würde. Andererseits offenbart Prost, wenn er philosophische Argumente kritisiert, ein fundamentales Unverständnis der Arbeitsweise dieser Disziplin.

Eine apriorische Argumentation nach dem Muster der reductio ad absurdum, wie sie etwa der berühmte philosophische Zombie von David Chalmers darstellt, zieht der Autor ins Lächerliche und schmettert sie unter Verweis auf empirische Unmöglichkeit ab: "Das ist kein Scherz! Dieses Argument wird (...) tatsächlich vorgebracht." Philosophisch vorgebildeten Lesern drängt sich so der Eindruck auf, Prost verstehe den Unterschied zwischen deduktivem (logischem) und induktivem (erfahrungs- oder datenbasiertem) Schließen nicht. Es stellt sich die Frage, wie der Autor wohl mit Gedankenexperimenten berühmter Physikerkollegen umgehen würde – kennt doch die Wissenschaft bisher auch kein Beispiel für eine lebendige und zugleich tote Katze.

Körper und Geist

Prost wirft verschiedenen, namentlich genannten Philosophen Ungenauigkeiten vor, schwächt aber fortwährend seine eigenen Aussagen mit Wörtern wie "ähnlich" oder "möglicherweise" ab. Auch die permanente Gleichsetzung von Verschiedenem ist argumentativ schwach. Das Werk ist zu allem Überdruss in einem unangenehm selbstgefälligen Ton geschrieben: "Wir haben also das Körper-Geist-Problem gelöst. Im Prinzip muss man sagen, dass die Lösung nicht sehr schwer war und es deswegen verwundert, dass die Philosophen dieses Problem so lange nicht haben lösen können." Solche Sätze zeugen von einer durch nichts gerechtfertigten Überheblichkeit, die das gesamte Buch durchzieht. Krude Formulierungen wie die von den "gelben Männern" als Beschreibung für Asiaten dürften zudem nicht nur Freunde der Political Correctness pikieren.

Die lockere Schreibe und die vermeintlich stringente Argumentation könnten den Eindruck schüren, Prost habe tatsächlich Substanzielles über wichtige Probleme der Philosophie zu sagen. Doch statt wie einst Werner Heisenberg den Dialog zwischen den Disziplinen zu suchen, bricht der Autor diesen mit seinem Buch ab. Immerhin: Die Entstehung des Kosmos und die Evolution des Menschen erklärt er leidlich korrekt und laiengerecht.

Bisweilen liegen Philosophen doch gar nicht so falsch, wie etwa der von Prost geschätzte frühe Ludwig Wittgenstein: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen."

Hinweis der Redaktion: Spektrum der Wissenschaft und Springer Science+Business Media gehören beide zur Verlagsgruppe Springer Nature. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die Rezensionen. Spektrum der Wissenschaft rezensiert Titel aus dem Springer-Verlag mit demselben Anspruch und nach denselben Kriterien wie Titel aus anderen Verlagen.

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