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Augenzeugen der Conquista

Habgier war ihr Motiv, Mord ihr Mittel. Skrupel kannten sie nicht, und Mitleid war ihnen fremd. Seit der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus (1492) strömte eine wachsende Zahl von Abenteurern in die Neue Welt, viele von ihnen Desperados wie der ehemalige Schweinehirt Franzisco Pizarro (1475-1541), die in der Fremde zu finden hofften, was sie in der Heimat nicht bekamen: "oro y gloria", Gold und Ruhm.

Robert und Evamaria Grün sind ausgewiesene Kenner auf dem Gebiet der Historischen Geographie und des Zeitalters der Entdeckungen. In ihrem äußerst lesenswerten Buch, einer revidierten Fassung der Edition-Erdmann-Ausgabe von 1984, lassen sie drei Zeitzeugen zu Wort kommen, die in persönlichen Tagebüchern den welthistorisch so bedeutsamen wie folgenschweren Kulturkontakt zwischen Alter und Neuer Welt reflektierten. Ansätze für eine friedliche Koexistenz findet man darin kaum; meist drehen sich die Texte um blutige Auseinandersetzungen zwischen den spanischen Kolonialherren und der indigenen Bevölkerung Perus.

Im Irrsinn des Goldrauschs

Befeuert von dem verheißungsvollen Gerücht über ein legendäres Goldland "El Dorado" zog es um die Mitte des 16. Jahrhunderts Hunderte Hasardeure in die dünne Luft der Anden und in die grüne Hölle des Amazonas, um für die spanische Krone Land in Besitz zu nehmen. Die rechtliche Voraussetzung dafür schufen die "capitulationes", staatliche Eroberungslizenzen, mit denen Spaniens König Karl V. die Kolonisierung Amerikas für private Investoren freigab und diesen ein befristetes Monopol zur kommerziellen Ausbeutung des Lands gewährte.

Im Gefolge dieser zusammengewürfelten Schar aus verwegenen Glücksrittern und skrupellosen Draufgängern befanden sich auch stille Beobachter, deren Namen heute weithin vergessen sind. Einer von ihnen war der Augustinermönch Celso Gargia, der sich Francisco Pizarro als Missionar anschloss und dessen blutiges Wüten im Inka-Reich aus nächster Nähe miterlebte. Ein anderer war der spätere Erzbischof von Lima, Gaspar de Carvajal, aus dessen Feder einer der abenteuerlichsten Reiseberichte aus der Neuen Welt stammt. Carvajal erzählt darin von der ersten Durchquerung des südamerikanischen Kontinents durch Francisco de Orellana (1511-1546) im Jahr 1541, die in einem Kampf mit streitbaren Einwohnerinnen gipfelte, nach denen der mächtige Urwaldstrom "Rio de las Amazonas" benannt wurde. Zu nennen ist auch der "Entwicklungshelfer" Samuel Fritz, dessen Tagebuch die entbehrungsreiche Missionsarbeit am oberen Amazonas dokumentiert. Dort unterrichtete Fritz als allein reisender böhmischer Jesuitenpater die Indigenen im Ackerbau, etwa im Anbau von Reis und Zuckerrohr, und in Handwerksberufen.

Sie alle geben in ihren Augenzeugenberichten einen unverstellten Blick auf die riesigen kulturellen Unterschiede zwischen Einheimischen und Eroberern. Während Gold für die ersten lediglich rituellen Wert besaß, weil es glänzte wie die Leben spendende, als Göttin verehrte Sonne, jagten die letzten dem Edelmetall aus reiner Gier hinterher. "Wie Affen hoben sie das Gold auf […], wie hungrige Schweine waren sie gierig nach Gold", berichtet ein zeitgenössischer Chronist über die Spanier.

Offiziell sollten die Ureinwohner missioniert, nicht versklavt werden. Doch so weit von Europa entfernt scherten sich die Konquistadoren wenig um die Anweisungen von Papst und Krone. Als selbst ernannte Herrenmenschen zwangen sie die Eingeborenen dazu, sich zu Tausenden in den Bergwerken und auf den Plantagen der Neuen Welt zu Tode zu schuften.

Invasion der Fremden

Die Tagebücher der Missionare gewähren auch Einblicke in die mentale Verfassung der Indigenen, was manche ihrer Verhaltensweisen besser zu verstehen hilft. So waren viele von ihnen irritiert darüber, wie die Europäer kämpften. Denn anders als Indiokrieger, die ihre Gegner verletzten, gefangen nahmen und ihren Herrschern als Beute präsentierten, wollten die weißen Ankömmlinge meist nur eines: den Gegner so schnell wie möglich töten. Zudem jagte die europäische Kavallerie den Einheimischen Angst ein, weil sie Reiter und Ross für ein einziges Wesen hielten. In dem asymmetrischen Krieg zwischen Ureinwohnern und Konquistadoren kam es zu unvorstellbaren Grausamkeiten und jedes Maß übersteigenden Gemetzeln, in denen die Spanier die Einheimischen "wie Lamas abschlachteten". Viel schlimmer jedoch wüteten unsichtbare Feinde: aus Europa eingeschleppte Krankheiten wie Pocken und Pest, denen die Indigenen zu Millionen erlagen.

Der Leser erfährt auch allerlei Wissenswertes über die Lebensweise und den Lebensraum der Einheimischen; über berauschende Getränke, die sie aus Knollen brauten; über ihre aus Sicht der christlichen Missionare laxe Sexualmoral; aber auch über riesige wildwuchernde Pflanzen, bunt gefiederte Vögel, handtellergroße Spinnen und meterlange Schlangen.

Wer das Buch von Robert und Evamaria Grün liest, taucht ein in eine Welt, die vor 500 Jahren von Schwert und Bibel vernichtet wurde: eine Katastrophe, die in Amerika noch heute nachhallt.

Anmerkung der Redaktion am 23. Mai 2023: Wie inzwischen Recherchen – etwa der »FAZ« und bei der »Wikipedia« – ergeben haben, handelt es sich bei dem Tagebuch des Mönchs Celso Gargia recht sicher um eine Fälschung. Herausgeber Robert Grün hatte offenbar den fiktiven Bericht selbst verfasst.

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