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»Die erstaunlichen Sinne der Tiere«: Tiere mit Wow-Effekt!

Ed Yong schreibt mit Staunen und Demut über Tiere mit ihren außergewöhnlichen Sinnen, die dem Menschen verschlossen bleiben. Eine Rezension
Eine Taschenratte aus der Familie der Geomyidae.

Durch die Hauswände wummert jeden Tag ein Schlagbohrer, der Straßenbeton aufbricht, gleichzeitig dröhnt eine Tuba aus dem Nachbarraum. Sie verstehen Ihr eigenes Wort in Ihrer Wohnung nicht mehr. Nachts können Sie kaum schlafen, Flutlichtanlagen werfen hell gleißendes Licht in Ihre Fenster: So ähnlich kann es für Tiere sein, die mit der menschlichen Umwelt klarkommen müssen. Doch wie fühlen Tiere überhaupt, und über welche Sinne verfügen sie?

Zittersensoren in den Haaren oder Wärmesensor im Maul

Ob ein leichtes Kräuseln auf dem Wasser, magnetische oder elektrische Felder: Tiere nutzen Sinne, die wir Menschen nicht haben. Manchmal hat jedes Haar auf ihrem Körper Neurone für den Tastsinn. Robben spüren die Strömung von einem einzelnen Hering noch in 200 Meter Entfernung, Froschembryos haben Kristalle im Innenohr, die vor fressbegierigen Schlangen warnen, Schlangen spüren Mäuse mit Infrarotsensoren im Maul, Ratten nutzen »Ultraschallrufe«, und Schildkröten finden den Strand auf der einen Insel im Meer wieder, auf der sie vor Jahrzehnten geboren wurden.

»Sie tragen ihren Wert in sich selbst. Wir werden ihre Sinne erkunden, um ihr Leben besser zu verstehen«Ed Yong

Der Wissenschaftsjournalist Ed Yong stellt in seinem neuen Buch die unermesslich vielfältige Welt der tierischen Sinne vor. Während Menschen stark auf die visuelle Wahrnehmung fixiert sind und bloß einen »winzigen Ausschnitt einer ungeheuer großen Welt« mitbekommen, verfügen Tiere über viel mehr Sinne. Und es ist beileibe nicht nur besseres Riechen, Hören oder Sehen. Tiere nutzen Sinne, mit denen sie UV-Licht, elektrische und magnetische Felder spüren und auswerten, oder sie erkennen winzige Strömungen im Wasser. Es sind Sinne, die Menschen sich lediglich mit Fantasie und Wissenschaft vorstellen können. Doch es ist »kein Buch, in dem wir Tiere kindisch ja nach der Schärfe ihrer Sinne auflisten und nur für wertvoll erachten, wenn ihre Fähigkeiten unsere eigenen übersteigen«, so Ed Yong. Sein Buch handelt von Vielfalt. Es geht ihm auch nicht darum, dass die andersartigen Sinne dazu dienen könnten, neue technische innovative Geräte wie Weltraumteleskope, Hörgeräte oder militärische Echolote zu bauen. »Sie tragen ihren Wert in sich selbst. Wir werden ihre Sinne erkunden, um ihr Leben besser zu verstehen«, schreibt Yong.

Der Autor vermittelt aber nicht nur Wissen, sondern schreibt – wie auch in seinem Buch »Winzige Gefährten« über Mikroben – ungemein unterhaltsam. Er porträtiert die Forscherinnen und Forscher so lebhaft, dass man fast meint, sie vor sich zu sehen. Mal tropft aus einem Gebüsch klebriger Froschschleim auf Forscherhaare, mal wollen die Forschenden unbedingt etwas noch Unbekanntes wissen, oder sie sind total begeistert von einem seltenen Tier, das sonst kaum einer kennt, während andere ihren eigenen Hund einen Schnüffeltest machen lassen.

Es sind nicht bloß die ausgewachsenen Tiere, die uns unbekannte Sinne nutzen. Froschbabys tun es schon vor ihrer Geburt. Embryos eines besonders farbenfrohen Laubfrosches mit grasgrünem Körper, neonblauen Beinen, orangen Zehen und tomatengelben Augen spüren eine ganz bestimmte drohende Gefahr: Beißt eine Katzenaugennatter in das Gelege, um an die Froscheier zu gelangen, lösen sie spontan ihre eigene Frühgeburt aus. Denn der zubeißende Kiefer der Schlange erzeugt eine spezifische Vibration, wodurch kleine Kristalle im Innenohr der Froschembryos geschüttelt werden, die Alarm schlagen. Sofort »regnet« es aus dem Gebüsch Kaulquappen, die sich ins Wasser retten. »Für die Schlange, die immer noch an ihrem ersten Bissen kaut, ist nur noch leeres, klebriges Gelee übrig«, so Yong.

Doch es ist nicht nur eine schöne, faszinierende und verborgene Welt der Tiere, die im Buch geschildert wird. Der Mensch schädigt und »schändet« die sensorische Umwelt fast überall mit Lärm und Licht. So vertreiben etwa Kompressoren für die Erdgasgewinnung in Waldgebieten die wichtigen Woodhousehäher, die sonst Kiefern im Wald verteilen. »Wenn solche Arten aussterben, sterben auch ihre Umwelten. Mit jedem Lebewesen, das verschwindet, verlieren wir einen Weg, um in der Welt einen Sinn zu finden«, klagt Yong an und verbindet damit den Appell, die Sinneswelten der Tiere zu achten.

Das Buch zu lesen ist ein großartiger Genuss und erzeugt Demut, während man tief in die Welt der Tiere mit ihren so andersartigen Sinnen eintaucht. Es ist eine erzählerische Reise in andere Dimensionen, die wir Menschen nur erahnen können. Und vielleicht sogar spektakulärer als ein Trip in die unbekannten Welten des Weltalls.

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