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Ist das alles wirklich wahr?

Wer auf die Idee kommt, praktizierende Naturwissenschaftler zu fragen, ob sie wirklich die Natur erforschen oder bloß mit abstrakten Ideen herumspielen, wird wahrscheinlich höflich des Labors verwiesen. Trotzdem ist die Frage als so genanntes Realismusproblem ein Dauerthema der Philosophie und Wissenschaftstheorie. Sind individuelle Sinneseindrücke das einzig Wahre, um Theorien zu beweisen oder zu widerlegen? Sagt die Quantentheorie etwas über die Wirklichkeit aus oder nur über die Wahrscheinlichkeit von Versuchsergebnissen? Sind Mathematiker Erfinder oder Entdecker?

Auf solche und ähnliche Fragen gibt Hinterberger – laut Klappentext freier Schriftsteller mit Schwerpunkt Philosophie der Naturwissenschaften – eine eindeutige Antwort, die er sperrig als "fallibilistischer Falsifikationismus" bezeichnet. Gemeint ist die Lehre des österreichisch-britischen Philosophen Karl Popper (1902–1994), eine Spielart des kritischen Realismus.

Ich in der Welt – oder die Welt in mir?

"Realismus" meint jene Auffassung, die wohl jeder Mensch in der Praxis vertritt: Die Dinge existieren unabhängig von unserer Anschauung. Wie Einstein anlässlich des Streits um die Deutung der Quantentheorie sagte: Der Mond ist auch da, wenn keiner hinschaut. Diese alltägliche Ansicht schmähen Philosophen als "naiven Realismus"; sofern sie den Realismus dennoch verteidigen, adeln sie ihn zum "kritischen Realismus".

Popper gesteht naturwissenschaftlichen Theorien einen Bezug zur Wirklichkeit zu, ist also Realist. Doch woher weiß man, ob eine Theorie stimmt? Popper antwortet: Sie muss sich dem Falsifikationskriterium stellen, das heißt widerlegbar sein; sie gilt, solange sie nicht falsifiziert worden ist.

Diese trügerisch einfache Antwort hat unter Poppers Schülern, etwa Imre Lakatos und Paul Feyerabend, sowie unter Kritikern wie dem amerikanischen Wissenschaftsphilosophen Thomas Samuel Kuhn (1922-1996) einen Rattenschwanz weiterer Fragen nach sich gezogen. Hinterberger hält all diese Diskussionen jedoch für verfehlt und lässt nur Meister Popper gelten: Wer von der reinen Lehre des Falsifikationismus abweiche, mache sich ausnahmslos verdächtig, Antirealist zu sein.

Natur als Stoff gewordene Mathematik

Hinterbergers Verdikt trifft auch den deutschen Philosophen Bernulf Kanitscheider (geb. 1939), obwohl der in seiner Zunft fast schon als naiver Realist gilt. Dieser hat unter anderem untersucht, wie es kommt, dass sich mathematische Begriffe so gut zur Naturbeschreibung eignen – laut Einstein ein wahres Wunder. Kanitscheider antwortet: Die Mathematisierbarkeit muss bereits in der Natur selbst angelegt sein. Die Dinge müssen von Natur aus gewisse Zählbarkeiten, Symmetrien und Strukturen aufweisen, damit Mathematiker sie auf den Begriff bringen können.

Diese, wie mir scheint, plausible Annahme verdammt Hinterberger als antirealistische Verirrung – allerdings ohne das Problem einer Lösung näherzubringen. Er betont nur, auch der abstrakteste mathematische Begriff existiere letztlich als neurophysiologischer Hirnprozess, sei also real. Doch damit bleibt die Ausgangsfrage, wie Mathematikerhirne natürliche Strukturen entdecken, völlig offen.

Als Leser von "Spektrum der Wissenschaft" ist Hinterberger der Artikel "Was ist real?" von Meinard Kuhlmann (SdW 7/2014) aufgefallen. Den Strukturenrealismus, der dort angesichts der Quantenfeldtheorie propagiert wird (real sind nicht Felder und Teilchen, sondern Strukturen), bezeichnet Hinterberger als – Sie erraten es sicher – antirealistisch. Hingegen lobt er den Theoretiker Lee Smolin, der in seinem Buch "Im Universum der Zeit" über eine zeitliche Evolution der Naturgesetze spekuliert, als wahren Realisten.

Hinterbergers Polemik ist durchaus anregend und kenntnisreich, dennoch habe ich einen Einwand: Man sollte der Realität keine Vorschriften machen, außer dass es sie schon gegeben haben muss, als noch kein Wissenschaftler auf der Welt war. Ob die Natur letztlich aus Teilchen oder Feldern oder Strukturen besteht, das steht nicht bei Popper.

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