Auf Darwins Spuren
1831 stach die »HMS Beagle« von England aus in See, um die Küsten Südamerikas zu vermessen. Mit an Bord war der damals 22-jährige Charles Darwin. Der Schiffskommandant Robert Fitz Roy hatte ihn engagiert, um »keine Gelegenheit zum Sammeln von nützlichen Informationen zu versäumen«.
Die »Beagle«-Expedition sollte eigentlich zwei Jahre dauern, woraus dann aber fast fünf wurden – erst 1836 kehrte das Schiff zurück. Es lief unter anderem Südamerika, die Galapagosinseln, Tahiti, Neuseeland, Australien und die Kokosinseln an. Überall dort ging Darwin an Land, untersuchte Tiere, Pflanzen und geologische Strukturen. Die Beobachtungen, die er dabei machte, ließen ihn schon bald vermuten, dass die Arten veränderlich sind. Sie inspirierten ihn zu seiner Evolutionstheorie, die er allerdings erst viel später – mehr als 20 Jahre danach – veröffentlichte.
Folgenreiche Fahrt
Darwin verarbeitete seine Reiseerlebnisse in dem Buch »Journal and Remarks« (1839), das 1845 in einer überarbeiteten zweiten Fassung erschien. Diese ist ins Deutsche übertragen worden und jetzt als illustrierte Sonderausgabe herausgekommen. Das gelungen übersetzte, vorsichtig gekürzte und üppig bebilderte Werk erlaubt es, auf Darwins Spuren zu wandeln und jene Forschungsreise nachzuerleben, die laut seiner eigenen Aussage »das bei Weitem bedeutendste Ereignis« seines Lebens war.
Den größten Teil des Buchs nehmen Darwins Naturbeobachtungen ein. Intensiv widmet er sich der Fauna und Flora in den bereisten Gebieten und beschreibt diverse Arten. Das ist nicht nur biologisch interessant, sondern auch packend und lebendig geschrieben und liest sich oft sehr witzig: »Mehr als einmal habe ich gesehen, wie ein Guanako, wenn man sich ihm näherte, nicht nur wieherte und schrie, sondern auch in der lächerlichsten Art und Weise umherstolzierte und sprang, offenbar als trotzige Herausforderung.« Wiederholt denkt Darwin über die Verbreitungsgebiete von Tierarten nach. Er fragt sich etwa, warum Autoren, die Südamerika vor ihm bereist hatten, bei bestimmten Spezies eine andere Verbreitung beschrieben hatten, als er sie vorfand.
Eingehend befasst sich der Naturforscher mit Landschaften, geologischen Strukturen und klimatischen Verhältnissen. Er entwickelt Thesen dazu, wie die südamerikanischen Gebirgszüge, Täler und Ebenen entstanden sein könnten. Auch wundert er sich darüber, dass Gletscher, Eisberge und Dauerfrostboden auf der Südhalbkugel in erstaunlich niedrigen Breiten vorkommen, verglichen mit der nördlichen Hemisphäre.
Darwin diskutiert Muschelfunde auf Bergen, die Schichtenabfolge in Gebirgen oder Kiesablagerungen in Tälern. Daraus schließt er auf frühere Hebungen und Senkungen des Lands, auf zurückliegende Vulkanausbrüche und die Existenz früherer Meeresarme. Zudem berichtet er über Fossilien, die er auf seinen Expeditionen fand, und versucht, sie zeitlich einzuordnen. Er spekuliert darüber, wie Tierpopulationen durch Landerhebungen getrennt werden können; diese »Verinselung« von Lebensgemeinschaften spielte eine wichtige Rolle in seiner späteren Evolutionstheorie, denn sie trägt zum Auffächern von Arten bei.
Ein langer Abschnitt widmet sich dem damals noch ungelösten Rätsel, wie Korallenriffe entstehen. Beim Besuch der Kokosinseln hatte Darwin solche Strukturen zu Gesicht bekommen. In seinem Buch stellt er eine Theorie auf, mit der er schlüssig erklären kann, welcher Mechanismus Saum- und Barriereriffe und schließlich Atolle hervorbringt. Dabei steht einmal mehr die Hebung und Senkung von Festland beziehungsweise von Inseln im Fokus.
Ausführlich beschreibt Darwin die Indigenen in den bereisten Gebieten, wobei er Sympathien und Antipathien erkennen lässt. Während er von den Feuerländern und Neuseeländern keine hohe Meinung hat, schwärmt er von den Tahitianern. Was er als Zeitzeuge der Kolonisation schildert, ist oft beklemmend: »Wo sich der Europäer auch hinwendet, scheint der Tod die Eingeborenen zu verfolgen.« Deutlich bringt er seine Empörung über die Sklaverei zum Ausdruck. Eine große Rolle in dem Buch spielen die Indianerkriege, die in den Jahren der »Beagle«-Expedition offenbar eskalierten. Darwin erzählt von der Furcht, indigenen Kriegern in die Hände zu fallen, und berichtet von tödlichen Überfällen auf Armeeposten. Von den Truppen, die gegen die Einheimischen aufgeboten wurden, hält er nicht viel: »Ich möchte meinen, eine solch schurkische, banditenartige Armee ward nie zuvor zusammengestellt.«
Von besonderem Interesse ist der Abschnitt über die Galapagosinseln. Darwin hält darin mehrere Besonderheiten fest, die ihm an der Tier- und Pflanzenwelt des Archipels auffielen. Er bemerkt, zahlreiche Galapagos-Arten seien nur auf diese Inselgruppe beschränkt, und sogar die einzelnen Inseln besäßen ihre jeweils eigenen Spezies, obwohl sie zumeist in Sichtweite zueinander lägen. Gleichzeitig jedoch, schreibt der Naturforscher, weise die Tier- und Pflanzenwelt eine ausgeprägte Verwandtschaft mit derjenigen Amerikas auf. Diese Beobachtungen erwiesen sich als wichtig für die Evolutionstheorie.
»Die Fahrt der Beagle« ist ein spannender Reisebericht, der aus wissenschaftlicher Sicht, aber auch als Zeitzeugendokument von hoher literarischer Qualität fasziniert. Das Buch ist reich bebildert mit Landschaftsaufnahmen der jeweiligen Gebiete, mit Tier- und Pflanzenfotos, mit historischen Zeichnungen und Gemälden und mit Abbildungen wissenschaftlicher Präparate. Textauszüge aus Darwins »Entstehung der Arten«, aus Robert Ritz Roys Reisebericht »Proceedings of the Second Voyage« und anderen Werken runden den Band gelungen ab.
Nicht ganz optimal erscheint, dass die doppelseitige Karte mit der Reiseroute der »Beagle« irgendwo mitten im Band platziert wurde, wo man sie leicht übersehen kann. Diese Karte hätte nach vorn gehört, auf die inneren Umschlagseiten oder an ähnlich exponierte Stelle. Von diesem kleinen Manko abgesehen erweist sich der Band als fesselnde, ergiebige und bereichernde Lektüre.
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