Meer zwischen den Kontinenten
Über die Jahrtausende war das Meer zwischen den drei Kontinenten Afrika, Asien und Europa ein florierender Korridor, über den Menschen, Waren, Ideen und Technologien wanderten. Cyprian Broodbank nimmt uns mit auf eine Reise dorthin: von der Erstbesiedelung des Mittelmeerraums durch die Zeit vom Homo erectus bis zur Schlacht von Salamis am Vorabend der griechischen Klassik 480 v.Chr., als um das Mare Nostrum herum sehr ähnliche Gesellschaften entstanden waren. Er beschreibt die Vor- und Frühgeschichte dieses überseeischen Transitsystems sowie dessen Veränderungen im Zuge des gesellschaftlichen Wandels – eine Mammutaufgabe, beansprucht doch allein die Zeittafel des Buches, die vorherrschende Kulturen mit Räumen und Epochen verbindet, acht Seiten. Doch diesem umfassenden Anspruch wird der Autor gerecht: fachübergreifend, überregional und interdisziplinär führt er seinen Lesern vor Augen, wie Kulturen, Regionen und Zeiten verbunden waren, bei denen der stete Wandel die verbindende Konstante darstellte.
Auf die Einleitung lässt Broodbank einen methodischen und forschungsgeschichtlichen Teil folgen, um dann chronologisch fortzufahren. Die Kapitel lesen sich leicht, flüssig und pointiert, ohne es an wissenschaftlicher Genauigkeit und Detailreichtum missen zu lassen. Ein besonderer Reiz liegt darin, dass der Autor neben Forschungsergebnissen aus Archäologie, Kulturgeschichte und Naturwissenschaft auch kleine Anekdoten aus der Wissenschaftsgeschichte einfließen lässt und trotzdem nie den roten Faden verliert. Sein Fokus liegt auf den Küstenregionen des östlichen und westlichen Mittelmeers sowie den impulsgebenden Zonen im Fruchtbaren Halbmond und Ägypten. Hin und wieder hätte man aber gern mehr über die nördlichen Peripherien (West- und Mitteleuropa, Balkan, Schwarzmeer-Gebiete) erfahren. Auch über die Kontakte ins Sahara-Gebiet und darüber hinaus könnten stärker beschrieben sein, wobei dies sicherlich an fehlenden Forschungsergebnissen liegt.
Handel und Verbreitung
Grob lassen sich im Werk vier Abschnitte festmachen: die Ausbreitung des Menschen, die Weitergabe landwirtschaftlicher Techniken, die Entwicklungen von Handelssystemen sowie der Austausch von politischen/gesellschaftlichen/religiösen Ideen. Viel Wert legt Broodbank auf die Verbreitung von Lebewesen – vom Haushund bis zur Hausmaus – und den Handel mit Gütern, insbesondere vergänglichen, die meist nicht überdauert haben und somit selten Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung waren. Viele seiner Auslegungen sind geprägt von wirtschaftlichen und sozial-ökonomischen Denkweisen, so dass beim Lesen mitunter der Eindruck aufkommt, der Mensch stehe im Schatten seiner Handelswaren.
Trotz einer interdisziplinären Betrachtung, insbesondere was den Einsatz von Natur- und Hilfswissenschaften angeht, bleibt der Autor in vielen Fragen der sozialen Interpretationen eher konservativ. Den möglichen Vergleich zwischen Vorgeschichte und ethnologisch dokumentierten Phänomenen – etwa zwischen früher Schifffahrt im Mittelmeer und polynesischer Hochsee-Nautik – lehnt er ab.
Das Buch enthält zahlreiche Bilder, Karten, Diagramme und Tafeln, die sich geschickt in den Text einfügen. Die vielen Querverweise und Fachbegriffe nehmen manchmal etwas überhand, man schlägt sie jedoch gerne nach, um dem spannenden Erzählfluss zu folgen. Immer wieder gelingt es dem Autor, Verbindungen zwischen der Vergangenheit und aktuellen Mittelmeer-Themen wie Umweltschutz, Tourismus, Wirtschaft und Migration herzustellen – unter anderem, indem er die Kulturgeschichte der beliebtesten Reiseziele behandelt.
»Die Geburt der mediterranen Welt« lädt die Leser ein, mitzudenken und mitzuforschen, etwa um beim nächsten Urlaub in der Region über das Reiseziel hinaus in die gesamte mediterrane Welt und ihre Historie zu schauen.
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