»Die Geografie der Zukunft«: Unendliche Weiten?
Nachdem Tim Marshall in seinem letzten Buch »Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert« die Weltpolitik und erwartbare Krisen der Zukunft betrachtet hatte, richtet er den Blick nun gen Himmel – beziehungsweise auf das, was er die »Epoche der Astropolitik« nennt. In zehn Kapiteln und in drei Teile untergliedert zeigt er, was bis zum heutigen Tag bereits im All geschehen ist, beschreibt dann, welche Relevanz der extraterrestrische Raum bereits heute hat, und wendet sich anschließend in einem dritten Teil (etwas unglücklich als »Futur zwei« übertitelt, da mitnichten »vollendete Zukunft«) möglichen Zukunftsszenarien zu.
Vor allem der Mittelteil des Buches ist dabei sehr lesenswert und nimmt entsprechend auch den weitaus größten Teil ein. Die Entwicklung der Raumfahrt wird hingegen in knapp über 50 Seiten abgehandelt, was hier allerdings angemessen ist – denn auch, wenn die Geschichte durchaus unterhaltsam aufgeschrieben ist, werden sich die meisten Leser vermutlich nicht lange mit Kopernikus oder dem Wettlauf der Amerikaner und Russen ins All aufhalten wollen, da man dies auch an anderer Stelle nachlesen kann. Ebenso ist es passend, dass der dritte Teil des Buches auf etwa 50 Seiten kondensiert ist, denn die darin enthaltene Beschreibung der technischen Rahmenbedingungen für interstellare Reisen oder der Siedlungsmöglichkeiten auf anderen Planeten findet sich auch anderswo, während gleichzeitig die im selben Abschlussteil des Buches skizzierten »Weltraumkriege« keiner besonderen Fantasie bedürfen und bestehende Konflikte, etwa zwischen China und Taiwan oder den USA und Russland, mittelmäßig originell weiterspinnen – dies gleichwohl vor dem Hintergrund der im Mittelteil des Buches solide dargelegten technischen und politischen Rahmenbedingungen.
In jenem Mittelteil des Buches beschreibt Marshall, welche strategischen Räume die weltraumfahrenden Nationen bemüht sind (oder sein könnten) zu besetzen – seien es geeignete Satellitenumlaufbahnen oder Flächen auf dem Mond (als Ausgangsbasis für weitere Reisen oder zwecks Bergbau) – und welch neues Konfliktpotenzial sich hieraus ergeben könnte: Man denke nur an die Schwierigkeit, die Einhaltung völkerrechtlich bindender Verträge auf der Erde durchzusetzen. Um wie viel schwerer muss es da in Zukunft sein, sich über eine friedliche Nutzung des Weltraums zu verständigen. Diesbezügliche Versuche beschreibt der Autor lesenswert, aber auch Gesetz- oder zumindest Rücksichtslosigkeiten – sowohl die USA als auch China haben bereits demonstriert, dass sie in der Lage sind, (eigene) Satelliten im All zu zerstören, ohne große Umsicht, was die Entstehung gefährlicher Trümmerteile im Orbit anbelangt. Die Ambitionen der USA, Chinas und Russlands beschreibt der Journalist umfänglich, sowohl was die staatliche Seite als auch private Unternehmungen, Stichwort »SpaceX/Elon Musk«, anbelangt, und schildert zugleich, welche kleineren Nationen quasi huckepack mit den größeren ins All reisen und welche Interessen sie damit verbinden.
Insgesamt ist das Buch durchaus lesenswert, jedoch scheint sehr die Begeisterung des Autors für den Schritt ins All durch, etwa bei Sätzen wie: »Wir sollten die Apollo-11-Fahne holen und ins Museum stellen. Und wenn wir schon dabei sind, können wir auch gleich den Fußabdruck von Neil Armstrong suchen und als ultimativen ›Walk of Fame‹ zementieren. Das wäre doch ein guter Grund, um nochmal hinzufahren.« Na ja, das kann man auch anders sehen. Ebenso würde dem Buch an der einen oder anderen Stelle etwas weniger Pathos guttun, die sich in solchen Sätzen ausdrückt: »Der Mond und die Sterne ziehen uns an. Wölfe heben die Schnauze und heulen die silberne Scheibe an, die da am nächtlichen Himmel hängt. Die Menschen wollen seine Oberfläche betrachten und richten den Blick ins Unendliche. Wir haben das immer getan. Und jetzt sind wir unterwegs.« Zum Glück sind solche Formulierungen aber eher die Ausnahme, so dass die Lektüre lohnenswert ist und davon nicht übermäßig gestört wird. Ob man die mit breiter Brust vorgetragenen Zukunftsprognosen uneingeschränkt teilt, muss jeder selbst entscheiden. Dahingestellt sei auch, ob die unendlichen Weiten des Alls unmittelbar zur Eroberung bevorstehen.
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