Die Entwicklung des Lebens
Die Evolution ist ein kontinuierlicher Prozess, bei dem sich Lebewesen verändern und entwickeln. In den vergangenen vier Milliarden Jahren entstanden auf diese Weise ungeheuer komplexe Organismen und differenzierte anatomische Gebilde – man denke allein an die Fähigkeit, Luft mit Lungen zu atmen, an die Umwandlung von Flossen zu Kiemen oder an das Entstehen der Wirbelsäule.
Der Paläontologe Neil Shubin, Experte für Fische und Amphibien, nimmt den Leser mit auf diese Reise des Lebens und erzählt Geschichten von Paläontologen, Biologen und Genetikern sowie aus dem Forschungsgeschehen.
Genetik als Motor der Evolution des Lebens
Das Buch ist keine klassische Einführung in die Evolutionslehre, Shubin setzt ein Grundwissen darüber voraus. Ebenso wenig handelt es sich um eine fossilienbezogene Darstellung der Stammesgeschichte. Vielmehr erklärt der Autor anhand paläontologischer, historischer und biologischer Beispiele die fundamentale Rolle der Genetik bei der Evolution des Lebens. In einfachen Worten beschreibt er, welche in Anatomie und Fossilien beobachteten Phänomene und Entwicklungen sich mit welchen genetischen Hintergründen erklären lassen. Der englische Untertitel des Buchs »Decoding four billion years of life, from ancient fossils to DNA« wird dem tatsächlichen Inhalt wesentlich gerechter als der deutsche.
Der Aufbau von Shubins »Geschichte des Lebens« gleicht einer ineinander verwobenen und gefalteten DNA-Doppelhelix: Gekonnt und spannend verknüpft der Autor verschiedene Erzählstränge miteinander. Eingebettet in seine eigene Lebensgeschichte, von frühen Kindheitstagen über Schule und Studium bis zur Postdoc-Zeit, gibt er Einblicke in forschungsgeschichtliche Aspekte der Evolutionstheorie und der Genetik – was dem Buch eine persönliche Note verleiht. Natürlich dürfen hierbei der berühmte Archäopteryx, der als Urvogel gilt, und die Kreuzungsversuche von Thomas Hunt Morgan mit Taufliegen nicht fehlen.
Den zweiten Erzählstrang bildet eine sehr einleuchtend beschriebene Einführung in die Evolutionsgenetik, bei der es darum geht, über welche Mechanismen Gene wirken und die Evolution voranbringen. Shubins Beispiele entsprechen den Meilensteinen der Evolution – mit bisweilen fundamentalen Änderungen in den genetischen und anatomischen Bauplänen. Doch weil sich diese nur schwer im Fossilfund ausmachen lassen, sucht der Biologe valide Vergleiche in der Genetik: Wie veränderten Mutationen die komplette Physis? Durch welche Änderungen lassen sich komplette Gensequenzen aktivieren oder deaktivieren? Welche Codes steuern die individuelle Entwicklung von Organismen – von der ersten Zelle bis zum fertigen, adulten Lebewesen?
Durch paläontologische Vergleiche mit genetischen Experimenten, welche die Funktion und das Wirken von Genen erforschten, stellt Shubin die Entwicklung des Lebens in Teilen nach. Dadurch gelingt es ihm, evolutive Sprünge zu erklären. So muss die Lebensgeschichte nicht in kleinen, graduellen Schritten ablaufen, sondern kann bisweilen genetische Abkürzungen gehen, wie es beim Entstehen bestimmter Zellorganellen, der Ausbildung der Wirbelsäule und Kiemen oder der Umwandlung von Flossen zu Beinen der Fall war.
Dem Autor gelingt es dabei, fesselnd und leicht verständlich äußerst komplexe Zusammenhänge darzulegen. Sein Augenmerk richtet er dabei immer auf die verständliche Anwendung und die Forschungsarbeit: wie genetische Labore die Theorien bestätigen. Indem sich Shubin an wissenschaftlichen Entdeckungen entlanghangelt, porträtiert er zugleich die beteiligten, vorrangig US-amerikanischen Forscher und Forscherinnen. Dabei zeigt er explizit die wichtigen Arbeiten vieler Frauen, die es in dem männerdominierten Fach mitunter schwer hatten, ihre Erkenntnisse anerkennen zu lassen. Ein paar Schönheitsfehler seien dennoch erwähnt: Die Legende der Zeichnungen und Bilder ist an manchen Stellen nicht übersetzt worden. In wenigen Fällen wurden zudem bestimmte Fachbegriffe wie Krankheitsnamen oder Tierbezeichnungen nicht korrekt ins Deutsche übersetzt.
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