Stringtheorie für Dummies
»Alles Hype und große Töne, aber keine Substanz«, meinen die einen, während andere beteuern, es sei »die aufregendste Idee, die ich kenne« oder »Einstein wäre zufrieden gewesen«. Die Rede ist von der Stringtheorie, die seit Jahrzehnten die Physik-Community spaltet. Meist laufen Diskussionen darüber auf einem fachlich so hohen Niveau ab, dass Laien keine Chance haben, die vorgetragenen Argumente nachzuvollziehen, geschweige denn, etwas beizusteuern. »Die Gottes-Formel« könnte das ändern: Der theoretische Physiker Michio Kaku schafft es, auf gerade einmal 200 Seiten die grundlegenden Prinzipien der komplexen Theorie verständlich aufzubereiten – inklusive ihrer Vorzüge und Probleme.
Ein Streich mit den geheimen Plänen der Atombombe
Um das zu schaffen, muss der Autor weit ausholen: Etwa drei Viertel des Buchs befassen sich mit den Hintergründen, die schließlich zur Stringtheorie führen. Für die Leser gestaltet sich die Reise dabei sehr spannend. Kaku erörtert nicht nur die Geschichte der Physik – angefangen mit Demokrit, der die Existenz von Atomen postulierte, über Newton und die erste Gravitationstheorie, Maxwell mit seinem Elektromagnetismus hin zu Einsteins Relativitätstheorie sowie zu Physikern wie Heisenberg, Dirac und Planck, die die Quantenmechanik entwickelten. Der Autor spickt die Erklärungen mit unterhaltsamen Anekdoten, etwa wie Feynman während des Zweiten Weltkriegs einen Safe in einem Labor knackte, der die Geheimnisse der Atombombe enthielt, und darin aus Spaß eine kryptische Nachricht hinterließ, um seine Kollegen zu ärgern.
Kaku versteht es wie kaum ein anderer, komplizierte physikalische Zusammenhänge klar zu vermitteln. Er führt die Leser mit Leichtigkeit durch die wichtigsten Etappen der Physikgeschichte, bis er in der Gegenwart ankommt, in der wir die Welt einerseits durch Einsteins allgemeine Relativitätstheorie und andererseits durch das Standardmodell beschreiben, das den Elektromagnetismus sowie die starke und die schwache Kernkraft umfasst. An diesem Punkt macht der Autor klar, dass wir auf eine neue Theorie angewiesen sind, um alle Phänomene in unserem Universum zu verstehen, inklusive des Urknalls und Schwarzer Löcher.
Als mögliche Lösung präsentiert Kaku die Stringtheorie. Er selbst beschäftigt sich seit ihren Anfängen in den 1960er Jahren mit der Theorie und gilt daher als einer ihrer Begründer. Obwohl das Forschungsgebiet extrem komplex ist und auf abstrakter Mathematik beruht, erklärt der Autor mit scheinbarer Leichtigkeit ihre wichtigsten Eigenschaften. So führt er die Leser durch eine zehndimensionale Welt, in der die fundamentalen Bausteine nicht punktförmig, sondern eindimensionale schwingende Schnüre sind. Ihre Vibrationen erzeugen demnach die Teilchen und Wechselwirkungen, die wir in unserer Welt beobachten.
Die Begeisterung des Autors für sein Forschungsgebiet schwingt auf jeder Seite des Buchs mit. Er erklärt anschaulich, welch zunehmend wichtige Rolle Symmetrien im Lauf der Zeit in der modernen Physik einnehmen. Dabei offenbart sich für Kaku die höchste Form der Symmetrie in der Stringtheorie, was die Theorie in seinen Augen besonders »schön« macht. Gleichzeitig verschweigt er den Lesern nicht, dass nicht alle Kollegen seine Ansicht teilen: Er zitiert unter anderem die deutsche Physikerin Sabine Hossenfelder, die kritisiert, die aktuelle Grundlagenforschung konzentriere sich hauptsächlich auf »Schönheit, anstatt auch andere Aspekte – wie Überprüfbarkeit – einer Theorie zu berücksichtigen«.
Die Überprüfbarkeit ist eines der größten Probleme der Stringtheorie, denn bisher lässt sie sich durch Experimente weder verifizieren noch falsifizieren. Kaku sieht den bedeutendsten Makel jedoch darin, dass die Stringtheorie unendlich viele Lösungen besitzt: Neben unserem Kosmos sagt sie unendlich viele andere Universen voraus, ohne zu erläutern, warum genau dieses real ist. Der Verfasser stellt sich diesen Problemen und erklärt, wie man sie lösen könnte. Unter anderem beschreibt er, durch welche Versuche sich in Zukunft zumindest Hinweise auf die Gültigkeit der Stringtheorie finden ließen: Zum Beispiel könnte man bei der Suche nach Dunkler Materie auf ein von der Stringtheorie vorhergesagtes Photino stoßen.
An manchen Stellen erscheinen Kakus Aussagen leider etwas übertrieben, etwa wenn er behauptet, die meisten Physiker würden die Interpretation der Quantenmechanik nach Bohr inzwischen ablehnen und eher einer Viele-Welten-Theorie zustimmen. Oder Kernphysiker müssten nun versuchen, alles über zehndimensionale Stringtheorie zu lernen, »da diese vielleicht der Schlüssel zum Verständnis der Kernkraft« sein könnte – hier spielt er auf eine Dualität an, die es bisher allerdings nur in Modellen gibt, die sich stark von unserer Realität unterscheiden. Dennoch kann ich das Buch uneingeschränkt allen empfehlen, die sich für Grundlagenphysik begeistern und erfahren möchten, wie nah man einer »Gottes-Formel« ist.
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