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Mitten ins Schwarze

Eine bemerkenswerte Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts, die nicht nur für religiöse Menschen spannend sein dürfte.

»Eine Globalgeschichte der Religionen im 20. Jahrhundert«, so der Untertitel des Buchs, lässt nicht vermuten, was die Leser erwartet – nämlich 47 Porträts von Menschen, welche die religiöse Geschichte des vergangenen Jahrhunderts geprägt haben. Viele sind der breiten Öffentlichkeit gar nicht oder nur wenig bekannt. Und was besonders spannend ist: Man begegnet Personen, die man in einer Religionsgeschichte gar nicht erwartet hätte. Musiker wie die Beatles oder Bob Marley, Schriftsteller wie Lew Tolstoi oder J. R. R. Tolkien, Psychologen wie Carl Gustav Jung oder Politiker wie Ruhollah Chomeini und Mao Zedong bevölkern neben den großen religiösen Persönlichkeiten wie Martin Luther King, Johannes Paul II. und dem 14. Dalai Lama das umfangreiche Buch.

47 spannende Porträts

Der Autor hat dabei ein lebendiges Werk geschaffen, indem er nicht eine Geschichte einzelner Religionen schreibt, sondern die religiösen Phänomene des 20. Jahrhunderts anhand der Biografie seiner Protagonisten festmacht. Stausberg versteht es, die Persönlichkeiten in einer Form darzustellen, die nicht lobrednerisch ist. Andererseits erliegt er nicht dem anderen Extrem und präsentiert nur die negativen Seiten ihres religiösen Wirkens – außer wenn es notwendig und offensichtlich ist.

Wie für einen Religionswissenschaftler üblich, bewertet Stausberg die Inhalte nicht nach weltanschaulichen Kriterien. Die ethischen und politischen Auswirkungen der Lehren eines »Heilsbringers« zeigt er jedoch dezidiert auf und stellt sie in den individuellen und gesellschaftlichen Kontext. Gepaart mit dem Kenntnisreichtum und der Detailgenauigkeit, die er in den Lebensbeschreibungen bietet, wird das Lesen des Buchs zu einem echten Erlebnis und entwickelt eine ungeahnte Dynamik.

Der Zugang über Biografien hat einen weiteren Vorteil: Mehr oder weniger bekannte religiöse Persönlichkeiten, die bisher ein positives Image hatten, bekommen zuweilen auf den zweiten Blick eine andere Wertung, wenn man ihr Leben, ihre Ethik und ihre Theologie genauer betrachtet.

Im Buch geht es aber nicht nur um Religion, sondern um das komplexe Zusammenspiel von Biografie, Weltanschauung, Moden, Politik, Ethik und Naturerkenntnis. Durch die globale Perspektive wird das Werk einerseits zu einer Weltreise über verschiedene Kontinente – andererseits zeigt es auf, wie die religiösen Strömungen untereinander zusammenhängen. Zwar gab es solche Verbindungen auch schon vor dem 20. Jahrhundert, jedoch nicht in dieser Fülle.

Ein gutes Beispiel sind die Beatles, die Stausberg zufolge mit ihrem Aufstieg einen »religionsgeschichtlichen Umschlagpunkt« erzeugten. Laut John Lennon würde das Christentum untergehen, während die Beatles populärer als Jesus seien. In ihrer Anfangszeit sind die Beatles nicht durch ein ausgeprägt religiöses Engagement aufgefallen. Das sollte sich im Lauf ihres zunehmenden weltweiten Erfolgs (und nach ihren ersten Kontakten mit LSD) ändern. Besonders George Harrison und John Lennon wendeten sich vermehrt indischer Musik und Gurus zu. Harrison sah in ihnen geradezu das Ideal eines religiösen Lebens verwirklicht, womit er den damals vorherrschenden Klischeevorstellungen folgte. Für Lennon bestand die beste Möglichkeit einer Religion in einem Patchwork: Ein bisschen hiervon und ein bisschen davon.

Einen weiteren interessanten Aspekt der religiösen Entwicklungen im 20. Jahrhundert nimmt Stausberg in Form des Wirkens von Carl Sagan, Steven Spielberg und Stanley Kubrick auf. In einer technisch-wissenschaftlich orientierten Welt werden Götter zu »außerirdischen Erlösern« und der Kosmos zum Spielfeld heiliger Mächte. Besonders in Carl Sagans Roman »Contact« werden die Bezüge einer arithmetisch-kosmischen Religion deutlich, die den Gott der Bibel weit überragt. In ähnlicher Weise sah der Regisseur Stanley Kubrick den Gottesbegriff im Mittelpunkt seines Films »2001: Eine Odyssee im Weltraum«. Stausberg charakterisiert die religiöse Komponente des Films mit folgenden Worten: »Die provinziellen, menschengestaltigen Götter haben in 2001 einem Ganz-Anderen galaktischer Provenienz Platz gemacht, das den Menschen unverständlich bleibt.«

Auch wenn Religion im letzten Jahrhundert oft totgesagt wurde, befindet sich die allzu menschliche Suche nach dem Ganz-Anderen bisweilen an Orten, wo man sie nicht vermutet hätte.

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