»Die Kaiser von Rom«: Römischer Kaiser – eine Jobbeschreibung
»Denn die einen sind im Dunkeln und die anderen sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht«, dichtete einst Bertolt Brecht. Es scheint ja zu stimmen: Über die Herrscher aller Zeiten weiß man sehr viel mehr als über all die Bauern oder Handwerker, deren Lebensgeschichten sich Historiker nur selten annehmen. Ganz besonders im Glanz dieses Lichts standen die römischen Kaiser.
Und so kann, wer in Museen geht, überall ihre Büsten bewundern, die in großer Zahl gefertigt wurden. Wer lieber liest, erfährt in den »Kaiserbiographien« Suetons viel Klatsch und Tratsch aus ihrem Leben. So weit, so sichtbar – scheinbar. Denn wer beispielsweise Suetons Beschreibungen von Körper und Gesicht der Kaiser mit deren Büsten vergleicht, stellt verwundert fest: Worte und Darstellungen stimmen in keinem einzigen Fall überein. Was also ist wahr? Die Beschreibungen? Die Büsten? Oder vielleicht weder das eine noch das andere?
Wie ihre künstlerischen Porträts entpuppt sich vieles von dem, was wir über die römischen Kaiser zu wissen glauben, bei näherem Hinsehen als Blendwerk. In »Die Kaiser von Rom« wirft Mary Beard einen Blick hinter die Kulissen der Macht. Die Professorin lehrt an der University of Cambridge und zählt zu den bekanntesten Althistorikerinnen der Welt. Ihr Buch »SPQR« wurde zum Beststeller. Und bereits zuvor hatte sie sich mit Themen auseinandergesetzt, über die man eigentlich schon alles zu wissen glaubte: dem römischen Triumphzug etwa oder dem Leben in der vom Vesuv verschütteten Stadt Pompeji.
Dem Leben der römischen Kaiser nähert sich Beard in zehn Kapiteln. Dabei geht sie nicht chronologisch vor, behandelt also nicht einen römischen Kaiser nach dem nächsten. Denn sie interessiert sich weniger für das konkrete Schicksal jedes einzelnen Kaisers als vielmehr für die Bedingungen und Zwänge, die das Leben aller römischen Kaiser prägten. Aus diesem Grund beschränkt sie sich auch auf die Kaiser der ersten beiden Jahrhunderte, zwischen Caesar und Alexander Severus. Mit der Ermordung des Letzteren im Jahr 235 begann für das Römische Reich eine neue, chaotische Zeit, während zuvor eine vergleichsweise hohe Stabilität geherrscht hatte, welche die Erfahrungen der in dieser ruhigeren Epoche herrschenden Kaiser einigermaßen vergleichbar macht.
Luxus und Anspannung
In ihrem Buch begleitet Beard die römischen Autokraten durch ihr Leben. Wie aßen sie und mit wem? Wie und wo lebten sie? Aus welchen Tätigkeiten bestand die Arbeit eines römischen Kaisers? Hatte er je Freizeit und, wenn ja, wie verbrachte er sie? Wie bewegte sich der mächtigste Mann der Welt von Ort zu Ort? Nahm er einfach einen Wagen oder ein Schiff?
Bei der Suche nach Antworten auf diese Fragen kommt Mary Beard ihre beeindruckende Quellenkenntnis zugute. Souverän nutzt sie Inschriften aus allen Ecken des Reichs, ägyptische Papyri, selbst Graffiti an den Wänden des kaiserlichen Palasts. Sie wertet die Schriften aus, welche die Kaiser selbst hinterlassen haben, Lobpreisungen ihrer Verbündeten, Schmähungen ihrer Gegner. Und sie wirft einen Blick auf die architektonischen Zeugnisse in Form von Triumphbögen oder Grabmalen.
In lebendig erzählten Anekdoten kommt Beard dem Leben der römischen Herrscher oft nahe. Fast meint man als Leser, selbst an einem Galadinner teilzunehmen. Gebettet auf Liegen, warteten Kaiser und Gäste in einem von kleinen Wasserläufen durchzogenen Saal darauf, wie aus der Küche die Gänge nach und nach auf kleinen Schiffchen serviert wurden, die langsam herantrieben.
So einladend das klingen mag: Richtig entspannt war eine solche Situation wahrscheinlich für keinen der Beteiligten, insbesondere nicht für die Gäste. Konnte im Angesicht der absoluten Macht nicht schon ein falsches Wort, ein unpassender Blick, eine missglückte Geste das Ende einer Karriere und vielleicht sogar das des Lebens bedeuten?
Diese Anspannung war offenkundig auch den Kaisern selbst bewusst. Mehrfach spielten sie bei Dinners, die sie gaben, mit Statuen auf den Mythos des Riesen Polyphem an, der bei einem Essen von Odysseus geblendet worden war. Dies konnte als subtile Warnung an die Gäste gemeint sein oder als Hinweis darauf, dass die Kaiser ihre Situation vielleicht selbst – beim Gedanken an Polyphem – als prekär wahrnahmen.
All das beschreibt Beard mit souveräner Leichtigkeit. Von einem akademischen Jargon hält sie nichts. Die Menüfolge der kaiserlichen Essen erinnern sie »an Tapas«, die Arbeit des Kaisers bezeichnet sie als dessen »Job«. Auch dank dieser Sprache gelingt es Beard, die Barriere ein Stück weit einzureißen, welche die Propaganda des Reichs zwischen Kaiser und allen anderen aufgebaut hat. So enttarnt sie die Statuen und Bildnisse der schier allmächtigen Herrscher auch als Inszenierungen für diese selbst. Denn die Männer, die in die Rolle des Kaisers schlüpften, mussten sie eben auch ausfüllen und glaubwürdig verkörpern können; denn unter Brustpanzer oder Triumphgewand und trotz der Vergöttlichung nach ihrem Tod waren sie letztlich auch einfach Menschen, die das Schicksal, ihr Ehrgeiz oder eine Mischung aus beidem in ihre einzigartig herausgehobene Stellung katapultiert hatte.
Bei alldem kann Mary Beard natürlich nur mit den Quellen arbeiten, die es gibt. Nur bis zu einem bestimmten Punkt kann sie deshalb hinter die Fassade der Propaganda blicken. Manches wird wahrscheinlich für immer im Dunkeln bleiben. Aber wo immer es möglich ist, lässt Beard in ihrem sehr lesenswerten Buch etwas Licht auf Menschen in einer außergewöhnlichen Situation fallen, über die man nur scheinbar so viel zu wissen glaubte.
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