Warum Duschpinkler gerne mal lügen
Als Mai Thi Nguyen-Kim Anfang 2021 noch an diesem Buch schreibt, gibt es schon 40 000 Corona-Tote in Deutschland. Die Debatten um Lockdown, Brückenlockdown, Triage und Notbremse sind noch nicht in vollem Gang. Aber das, was sie am Ende ihres Kapitels zu Verboten rund um Alkohol, Cannabis und Co. schreibt, passt auch zur aktuellen Coronazeit. Dort resümiert sie, die Drogenpolitik in Deutschland basiere auf keinen erkennbar wissenschaftlichen Bewertungen.
Vehement diskutierte Streitfragen
So trocken der Titel ihres Buchs klingt, so humorvoll und verständlich erklärt die promovierte Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim, wie Wissenschaft funktioniert und warum sie manchmal ihr Ziel verfehlt. Der Leser und die Leserin können sich an der klaren Sprache und den stringenten Gedankengängen der Autorin erfreuen. Sie spricht erfrischend locker von Forschungsergebnissen, die auch mal auf den »Tisch geknallt« werden, dass es nur so »donnert« – oder dass es für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oft heiße, »publiziere oder verrecke!«
Die neun Kapitel drehen sich allesamt um Streitfragen, die nicht nur in der Wissenschaft vehement diskutiert werden. Wie schädlich sind Drogen wirklich? Erzeugen Videospiele Amokläufer? Denken Frauen anders als Männer? Wie sicher sind Impfungen?
Mai Thi Nguyen-Kim erklärt, warum selbst die Wissenschaft manchmal auf den ersten Blick uneindeutige Ergebnisse liefert. Das tut die Chemikerin, indem sie psychologische Studien seziert, Zahlen zum Gender-Pay-Gap aufdröselt, den historischen Hintergrund zur Genehmigung von Homöopathie darlegt oder Studien zu Tierversuchen mit Zahlen belegt, bis sie auf den wissenschaftlichen Kern des behandelten Themas stößt.
Ihre Stärke besteht darin, komplizierte Begriffe verständlich zu machen. Denn es ist beispielsweise wichtig, zwischen Korrelation und Kausalität zu unterscheiden. Dazu liefert sie ein anschauliches Beispiel: Einige Studien scheinen nahezulegen, der Verzehr von Eiscreme führe zu mehr Vitamin D. Dabei ergibt sich der Zusammenhang wohl eher dadurch, dass wir häufiger im Sommer zu der Süßspeise greifen – und in Wahrheit das Sonnenlicht das Vitamin D im Körper erzeugt.
Zudem ließen sich psychologische Studien oft nicht auf die Realität übertragen, weil sich Menschen in Laborversuchen anders verhalten als sonst – und auch bei anonymen Online-Umfragen schon mal schummeln. Befrage man Duschpinkler zu ihrem Verhalten, liefern sie tendenziell eher die sozial akzeptierte Antwort und leugnen ihre Angewohnheit. Zudem lassen sich Resultate fehlinterpretieren, was zu fragwürdigen Schlussfolgerungen führt, etwa, der Verzehr von Brokkoli helfe gegen Pickel im Gesicht.
In einem anderen Kapitel schildert die Autorin, wie die Entwicklung der Corona-Impfstoffe ablief, und zeigt anhand einer Grafik, dass die Zulassungsverfahren zwar schneller, aber keineswegs schlechter waren. Beispielhaft geht sie auf andere Vakzine (wie jene gegen Masern und die Schweinegrippe) und deren Nebenwirkungen ein. Aber leider bleibt das umstrittene Dengue-Debakel unerwähnt, das vor wenigen Jahren auf den Philippinen für Aufruhr sorgte.
Es gibt sicher Wissenschaftsjournalisten, die wirtschaftliche Aspekte oder Lobbyismus kritischer berücksichtigen. Doch kaum jemand erklärt so detailliert, mit welchen Methoden in der Wissenschaft gearbeitet wird. Und kaum eine Person erreicht ein so großes Publikum wie Mai Thi Nguyen-Kim, deren Youtube-Kanal »maiLab« mehr als eine Million Abonnenten zählt.
Ihr Buch würde sich als Lektüre in Schulen und Hochschulen gut eignen, um eine ganze Generation gegen allzu schnelle Heilsversprechen, Fake News oder Verschwörungstheorien zu immunisieren – und zu ermutigen, stärker nachzuhaken. »Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit« ist eine Art Impfung gegen allzu leichtgläubiges Lesen von Wissens-Nachrichten.
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