Strippenzieher und Seilschaften
Bei der Besprechung dieses Buchs muss man die Gretchenfrage vielleicht gleich am Anfang stellen: Ist das Werk zu empfehlen oder nicht? Die Antwort ist ein klares »Jein«. Ja, denn das Buch arbeitet gut nachvollziehbar heraus, wo überall Interessengruppen die Bemühungen zum Klimaschutz gezielt unterwandern. Nein, denn: Wer weniger weiß, kann besser schlafen.
Realitätsleugnung als Grundsatzprogramm
In zwei Teilen widmen sich die Autorinnen, die beide als Journalistinnen arbeiten, der »Klimaschmutzlobby«. Zunächst zeigen sie, um welche Akteure es sich handelt; anschließend beleuchten sie, wie diese an verschiedenen Schaltstellen agieren. Dass Rechtspopulisten häufig auf Stimmenfang gehen, indem sie den menschengemachten Klimawandel leugnen, kann dabei nicht überraschen – eine entsprechende Partei in Deutschland hat diese Realitätsverweigerung sogar zu ihrem Grundsatzprogramm gemacht. Wenig überraschend nehmen sich auch die einschlägigen Interessenlagen der Konzerne aus, die mit fossilen Brennstoffen Milliarden verdienen und gern möchten, dass das so bleibt – sowie der Agrarlobby, die eine klimafreundliche Landwirtschaft mit kleineren Gewinnspannen verhindern möchte. Erschreckend ist jedoch, welche weit verzweigten Netzwerke solche Lobbygruppen über Jahrzehnte gesponnen und wie subtil sie die relevanten Gremien – nationale und supranationale Parlamente – regelrecht unterwandert haben.
Die Quellen, auf die sich die Autorinnen stützen, sind zahlreich und divers: 788 Fußnoten verweisen auf Zeitungsartikel, Onlinequellen, öffentlich zugängige Regierungsdokumente, Unterlagen von Verbänden oder wissenschaftliche Publikationen. Diese beeindruckende Materialfülle haben Götze und Joeres noch ergänzt mit Interviews und investigativen Recherchen.
Es kann einem angst und bange werden, wenn man liest, wie die Interessen mitunter verquickt sind. Nur einige Beispiele von vielen, die das Autorinnenduo nennt: Mehr als die Hälfte der CDU-Mitglieder im Agrarausschuss des Bundestages hatte 2018 zugleich ein Amt beim Bauernverband inne; internationale neoliberale Netzwerke wie »Atlas«, eine unter anderem von ExxonMobil und Philip Morris finanzierte Organisation, unterstützen das Institut der deutschen Wirtschaft; Parlamentarier wechseln nach Mandatsende nahtlos zu Wirtschaftsverbänden. Die Liste der Autorinnen ist lang und detailliert, unter klarer namentlicher Nennung von Einzelakteuren wie auch von Lobbygruppen.
Das Buch legt offen, wie unfassbar dreist die Handelnden mitunter vorgehen. Vor Festlegungen zu CO2-Limits im Luftverkehr beispielsweise fand eine enge Abstimmung zwischen EU-Kommission und dem Airbus-Konzern statt. Ein Kommissionsmitarbeiter schrieb an Airbus: »Es ist wichtig, dass wir bis zum Ende der Woche klar wissen, welche CO2-Standards Airbus erreichen kann.« Mit anderen Worten, der Konzern schrieb seine eigenen Auflagen mit. Neben diesen Einflussnahmen auf europäischer Ebene beleuchten die Autorinnen die nationale Strippenzieherei vor allem in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Osteuropa. Dass der Einfluss hier nicht geringer ist, muss man als Leser regelrecht ertragen können, ohne dabei sein Vertrauen in die Integrität der staatlichen Stellen zu verlieren.
In einem kurzen Schlusskapitel schlagen die Autorinnen fünf Maßnahmen des Klimaschutzes vor, an denen Staaten oder Verbraucher sich orientieren könnten. Dazu gehört etwa, Müll zu vermeiden, weniger Fleisch zu essen und Kohlekraftwerke früher zu schließen. Dem kann man sich unbestritten anschließen, angesichts der Ausführungen auf den vorhergehenden Seiten muss man allerdings einiges an Optimismus aufbringen, um darauf zu hoffen, dass solchen Maßnahmen Erfolg beschieden sein kann. Insgesamt ist das Buch sehr lesenswert, wenn auch deprimierend.
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