»Die kranke Frau«: Frauen in der Medizin
Die weltweiten Lücken in der medizinischen Erforschung und Versorgung von Frauen kosten jährlich Millionen Frauen das Leben. Das bestätigen die Weltgesundheitsorganisation sowie die Global Health Alliance. Aber warum ist die weibliche Medizin weniger weit entwickelt als die männliche? Und wo hat das heute noch Relevanz? Diese Fragen beantwortet die Kulturhistorikerin und Feministin, Elinor Cleghorn, in ihrem neuen Werk.
Autobiografisches Kapitel schockt
Dafür arbeitet sie sich in drei Teilen durch die Frauenmedizin vom antiken Griechenland bis in die Gegenwart mit dem Fokus auf Großbritannien und die USA. Schonungslos beschreibt die Autorin einen immer noch andauernden Kampf um Achtung und Selbstbestimmung. Dass Geschlechterunterschiede in der Medizin weiterhin Thema sind, wird bei ihren autobiografischen Erlebnissen deutlich. Nach der Geburt ihres zweiten Sohns erlebte sie den »husband stitch«: Dabei werden Frauen nach einer Geburt enger zugenäht, als ihre natürliche Anatomie vorgibt, um den Geschlechtsverkehr für den Mann lustvoller zu gestalten. Weiter erzählt sie von ihrem sieben Jahre andauernden Weg zur Diagnose systemischer Lupus erythematodes, eine Autoimmunkrankheit, die vor allem Frauen betrifft. Dass die Autorin so offen über ihre eigene Krankheitsgeschichte schreibt, verleiht ihr besondere Glaubhaftigkeit und rückt das Gelesene noch einmal näher. Zusammen mit der sorgfältigen Recherche wird schnell klar: Das Thema ist aktuell, schockierend, und die Autorin weiß, wovon sie schreibt. Und was sie davon hält, macht sie ebenso deutlich.
Von der Antike bis heute wurde der Frauenkörper dämonisiert und auf ehelichen Beischlaf, Schwangerschaft und Geburt reduziert, während die Medizin in der Hand der Männer lag. Welches Wissen sie über Jahrhunderte verbreiteten, ist teilweise schwer zu glauben. Doch diese dunklen Geschichten aus der Vergangenheit schockieren genauso, wie sie faszinieren. Eine frühe Hauptrolle spielt die »gemeingefährliche« Gebärmutter, die bei Langeweile, also wenn Schwangerschaften und Geburten ausblieben, durch den Körper wanderte und die Frauen reihenweise krank machte oder sogar tötete. Später warnten Ärzte davor, klitorale Selbstbefriedigung führe unweigerlich zu Epilepsie und geradewegs in die Prostitution. Und noch im 20. Jahrhundert wurden neurochirurgische Operationen wie die Lobotomie und die Topektomie vor allem an Frauen durchgeführt, um sie »wieder auf Spur zu bringen«. Dass es sich hierbei um medizinischen Sexismus handelt, belegt die Autorin mit konkreten Zahlen.
Solche direkten Vergleiche fehlen leider an anderen Stellen im Buch. Dabei würden sie helfen, das Gelesene besser einzuschätzen. Das heißt: Wann ging es wirklich um frauenfeindliche Praktiken, und wann litten männliche Patienten ebenso wie weibliche Patientinnen unter den damaligen Standards?
Und heute? Noch immer ranken sich Mythen und Rätsel um die Menopause, ist das Recht auf Abtreibung in einigen Ländern umstritten und der Herzinfarkt bei einer Frau schwieriger zu erkennen, einfach weil er sich anders äußert als beim Mann. Das kann für betroffene Frauen lebensgefährlich sein.
Das Buch enthält mehr als 400 Seiten geballtes Wissen, gespickt mit Fallbeispielen, die den Lesenden die Absurdität des Themas näher bringen und sich teilweise lesen wie ein Handbuch für Folterknechte. Die Autorin stellt Frauen und Männer vor, die sich in diesem Kampf als Helden erwiesen, und andere, die Frauen zurückdrängten. Das Buch eignet sich nicht als Nachschlagewerk, das Inhaltsverzeichnis ist ungenau und die einzelnen Kapitel wenig gegliedert. Dennoch ist es ein lesenswertes Buch für alle, die tief in dieses wichtige Thema eintauchen und die historischen Zusammenhänge verstehen möchten.
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