Mehr als nur Strand
Mit dem Biologen und renommierten Wissenschaftsautor Bruno P. Kremer und dem Meeresbiologen Fritz Gosselck hat sich ein erfahrenes Duo gefunden, um Leser(inne)n "Die Küste, den Lebensraum zwischen Land und Meer", nahezubringen. Das aus ihrer Zusammenarbeit entstandene Buch ist Bildband und Wissenschaftslektüre zugleich. Sein Coverbild spricht ziemlich klar für sich: Auch wenn es nicht explizit im Titel erwähnt wird, geht es vor allem um die Küsten von Nord- und Ostsee.
Das Grenzgebiet zwischen Land und Meer bietet Naturerlebnisse, die immer wieder neu faszinieren. Besonders die Nordseeküsten überraschen mit ihrem wechselnden Erscheinungsbild. Selbst wer immer an ein und demselben Strand Urlaub mache, könne jedes Jahr, jede Saison und nicht selten auch zu jeder Tageszeit "Neuland" entdecken, schreiben die Autoren.
Nach einer einleitenden Betrachtung lenken Kremer und Gosselck den Blick auf Grundsätzliches: das Element Wasser sowie die Phänomene der Wellen und Gezeiten. Auf das letzte Thema gehen sie besonders ausführlich ein. Anhand von Zeichnungen behandeln sie sowohl physikalische als auch astronomische Aspekte, welche die regelmäßige Abfolge von Ebbe und Flut bedingen.
Lauter ökologische Spezialisten
Es folgt ein Streifzug durch die verschiedenen Küstenformationen. Ob bei der Beschreibung von zerfurchten Felsen, Klippen, weitem Sandstrand und wilden Dünen, Gezeitentümpeln oder Salzwiesen – überall stehen erstklassige Farbfotos dem Text zur Seite. So möchten Kremer und Gosselck verständlich machen, wie die unterschiedlichen und teils extremen Lebensbedingungen ökologische Spezialisten hervorbringen. Die Leser lernen eine faszinierende Flora mit Algen, Flechten und Halophyten kennen, ebenso eine spannende Fauna von mikroskopisch kleinen Organismen über Krebse und Schnecken bis zu Wat- und anderen Wattvögeln.
Die Autoren wollen dazu anregen, die Facetten der Küsten bewusst wahrzunehmen. Und tatsächlich wird im Verlauf des fast 200 Seiten starken Bands klar: Der "Rand vom Land" ist mitnichten eine scharfe, gleich bleibende Linie. So gehen Kremer und Gosselck im Kapitel über das Watt auf das Zusammenspiel von Gezeiten und Boden ein – und wie dieses die Entstehung der Inseln beeinflusst. Die Leser erfahren hier beispielsweise, dass die ostfriesische Insel Wangerooge aus Lockermassen aufgebaut ist und sich daher in nur drei Jahrhunderten einmal um ihre komplette Länge nach Osten verschoben hat.
Die Lektüre beantwortet immer wieder ganz naheliegende Fragen: Woher stammt das Salz der Meere? Wie entstehen Wellen? Was hat es mit den vielen kleinen Löchern im Sand auf sich? Wie weit weg ist der Horizont? Meist liefern die Autoren gut nachvollziehbare Erklärungen. Manchmal drücken sie sich aber auch sehr kompliziert aus. Abgesehen von dem gewöhnungsbedürftigen Umstand, dass der Textstil wiederholt zwischen wissenschaftlich und flapsig wechselt, wäre eine bessere Platzierung der Fotos wünschenswert. So erscheinen Text und zugehöriges Bild oft auf unterschiedlichen Seiten, so dass die Leser hin und her blättern müssen. Zudem hätten die Autoren deutlicher darauf hinweisen sollen, dass die sensible Küstenregion mit ihrer einzigartigen Flora und Fauna durch wirtschaftliche Interessen und Umweltverschmutzung stark bedroht ist.
Trotz dieser kleineren Mängel lohnt sich die Lektüre unbedingt, weckt Begeisterung und macht Lust auf einen Urlaub im Norden.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben