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Fatale Vorurteile

US-Autor Malcolm Gladwell schildert, was Stereotype anrichten können.

Malcolm Gladwell hat einen ganz eigenen Stil. Nicht nur äußerlich fällt der 1963 in London geborene und in New York lebende Sachbuchautor mit der wilden Haarmähne aus dem Rahmen. Auch sein Schreibstil ist anders, als man es vom Non-Fiction-Segment, vor allem hier zu Lande, gewohnt ist: Statt trockener Erklärprosa oder emphatischer Aufrufe schreibt Gladwell überaus narrativ angelegte, dokumentarische Bücher. Mehr noch als in den erfolgreichen Vorgängern »Blink!« oder »Überflieger« breitet er in seinem neuen Werk über viele Seiten hinweg Geschichten aus.

Diverse exemplarische Geschichten

Als eine Art Rahmenhandlung fungiert hierbei eine Verkehrskontrolle in einer Kleinstadt nahe Houston (Texas), in deren Folge die Afroamerikanerin Sandra Bland festgenommen wurde und wenige Tage später in ihrer Gefängniszelle verstarb. Wir lesen aber auch über den Aufstieg und Fall des jovialen Investmentbetrügers Bernie Madoff, über einen sympathischen Footballtrainer sowie den kompetent auftretenden Mannschaftsarzt des US-Frauennationalteams im Turnen, die viele der in ihrer Obhut befindlichen Sportlerinnen und Sportler sexuell missbrauchten. Von Amanda Knox, jener exaltierten US-Studentin, die lange Zeit verdächtigt wurde, in den Mord an einer Kommilitonin im italienischen Perugia verwickelt gewesen zu sein. Oder über die Dichterin Sylvia Plath, die sich im England der 1960er Jahre das Leben nahm, indem sie einen mit tödlichem Gas betrieben Backofen zweckentfremdete. Psychiater und Behörden hingen damals fatalerweise der Theorie an, wer sich suizidieren wolle, tue es so oder so. Wie sehr es auf die Gelegenheit ankommt, bewies erst die dramatisch sinkende Zahl der Selbsttötungen, als man vom Kohlenmonoxidgemisch auf Erdgas umstellte.

Das alles ist für sich gesehen interessant und liest sich bei Gladwell stellenweise wie ein Krimi. Allein man fragt sich, was will der Autor einem mit all den akribisch recherchierten Details sagen? Nicht selten hat man bei der Lektüre den Wunsch, das Buch durchzuschütteln und zu rufen: Jetzt komm doch endlich mal zum Punkt! Gladwell schwenkt nur ganz selten einmal auf die Metaebene und kommentiert seine Schilderungen mit knappen Sätzen wie: »Wir tun uns schwer mit Leuten, die nicht in unser Schema passen.« Er rät zur Vorsicht mit Vorurteilen und Schubladendenken – nur was das konkret heißt und wie das geht, verrät er nicht.

Unter Berufung auf den Psychologen Timothy Levine erklärt Gladwell, wir befänden uns üblicherweise im »Wahrheitsmodus«: Wir neigen also dazu, anderen Glauben zu schenken, und bräuchten meist starke Belege, um jemanden als Lügner oder eine Theorie als falsch zu erkennen. Doch mit ebenso gutem Recht könnte man behaupten, Menschen seien grundsätzlich im Misstrauensmodus. Wer glaubt denn etwa ernsthaft, dass Politiker, Manager oder Banker ihr Herz auf der Zunge tragen? Hier stößt Gladwells Stil an seine Grenzen: Denn statt zu argumentierten und Für und Wider abzuwägen, erzählt er stets munter weiter.

Wie genau verhindert man, dass uns Vorurteile und Denkschablonen zu fatalen Fehlannahmen verleiten? Wie sieht ein vernünftiger Umgang mit Stereotypen aus, die man letztlich, wie Gladwell selbst einräumt, gar nicht abstreifen kann? Dieses Buch erzählt viel, erklärt aber wenig.

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