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Begründer der Naturwissenschaften?

Ein renommierter Evolutionsbiologe beschäftigt sich mit der Naturwissenschaft des Aristoteles (384-322 v. Chr.). Hat er nichts Besseres zu tun? Noch dazu, wenn er der Meinung ist, dass die Stunde null der Biologie das Jahr 1859 gewesen sei, als Charles Darwin sein epochales Werk "Über die Entstehung der Arten" veröffentlichte. Politische Philosophen rezipieren Aristoteles heute immer noch fleißig – das viel umfänglichere naturwissenschaftliche Werk des Denkers spielt dagegen keine Rolle mehr, und zwar schon seit Jahrhunderten.

Doch für Armand Leroi, der am Londoner Imperial College lehrt, ist Aristoteles nicht bloß der erste Naturwissenschaftler, sondern gar der Begründer der Naturwissenschaften. Denn, so der Autor, Aristoteles habe Erfahrungsdaten in ungeheuren Mengen gesammelt, was in dieser Form niemand vor ihm getan habe.

Wie Leroi darlegt, studierte Aristoteles den Körperbau, den Blutkreislauf, die Fortpflanzung, die Vererbung und die Lebensräume von Tieren und Pflanzen – alles Themen, mit denen sich die Biologie heute noch beschäftigt. Der antike Denker arbeitete noch nicht mit evolutionären Erklärungen, aber er entwickelte systematische Ansätze, die der modernen Biologie nicht völlig fremd sind – mögen sie aus heutiger Sicht auch teils befremdlich klingen. So attestierte er Tieren ein Lebensprinzip, das er "Seele" nannte und das für das Funktionieren des Organismus sorgen sollte. Diese "Seele" wurde seiner Ansicht nach nicht von einem Schöpfer eingegeben, sondern fortgepflanzt. Leroi meint, hier klängen bereits Elemente der Evolutionstheorie an, und deshalb habe die moderne Biologie Aristoteles endlich eingeholt, auch wenn kaum ein Biologe die Werke des Denkers je gelesen habe.

In maritimer Umgebung

Warum lautet der Buchtitel "Die Lagune"? Während sich Leroi auf die Spuren von Aristoteles begab, redete er unter anderem mit den Fischern auf der Insel Lesbos, wo der antike Naturforscher zwei Jahre lang lebte und seine wichtigsten Studien betrieb. Im fjordählichen Binnenmeer von Kalloni tauchte Leroi den Fischen, Austern und Schwämmen nach. Dieses Gewässer, das bis heute ein einzigartiges Biotop geblieben ist, taucht im Buch als Leitmotiv immer wieder auf. Auf Lesbos, so der Autor, habe Aristoteles das Leben kennen gelernt – über die Philosophie hinaus, mit der er in seiner Lehrzeit an Platons Akademie konfrontiert war. Lerois Bemerkung dazu: "Ideen entstehen nicht aus dem Nichts, sie kommen aus der Natur selbst."

Aristoteles, so legt der Autor am Beispiel von Lesbos dar, stützte sich häufig auf fragwürdige Informationen. Etwa auf die von Fischern, die damals wie heute keine Wissenschaftler und fest in landläufigen Vorurteilen verhaftet waren. Ihre Auskünfte brachten Aristoteles zu der Vermutung, viele Tierarten entstünden nicht durch Fortpflanzung, sondern spontan unter bestimmten Umweltbedingungen. Das galt seiner Ansicht nach auch für Austern, deren Fortpflanzungsorgane er übersah. Der Glaube an eine solche "Sponterzeugung" war unter Naturforschern noch im 19. Jahrhundert weit verbreitet.

Dem anspruchsvollen Buch mangelt es weder an unterhaltsamem Stil noch an amüsanten Pointen, etwa wenn Leroi schreibt, Aristoteles habe darauf beharrt, "dass eine Leiche kein Mensch sei, da sie keine Seele habe. Aus diesem Blickwinkel verschwendet ein Tintenfischmännchen, das mit einem toten Weibchen kopuliert, nicht nur seine Zeit, sondern begeht einen schweren philosophischen Fehler." Ein sehr empfehlenswertes Werk.

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