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Gescheiterter Visionär

Wie der oströmische Kaiser Justinian die Ressourcen seines Reichs überdehnte.

Der oströmische Kaiser Justinian, der von 527 bis 565 von Konstantinopel aus weite Teile des Mittelmeerraumes regierte, galt lange Zeit als der große Gestalter der Spätantike, unter dem das Römische Reich noch einmal kurzfristig zu expansiver Kraft und vergangenem Glanz zurückfand. Neuere Forschungen zeichnen ein etwas differenzierteres Bild seiner Herrschaft. Peter Heather, ein ausgewiesener Kenner der Übergangsphase zwischen Antike und Mittelalter, legt mit diesem Buch nun eine überzeugende Biografie vor, in der er die Herrschaft Justinians einer kritischen Neubewertung unterzieht. Heather lehrt am King’s College (London).

Gestützt auf sorgfältige Recherche zeichnet der Autor das facettenreiche Bild eines Herrschers, der im Spannungsfeld militärischer Konflikte, verheerender Naturkatastrophen, innenpolitischer Krisen und theologischer Konflikte stand. Das Buch behandelt die Jahrhunderte nach dem Untergang des Weströmischen Reichs 476 n. Chr. und beschreibt Justinian als energischen, letztlich aber erfolglosen Reorganisator, der mit überbordendem Gestaltungseifer in alle Politikfelder und sämtliche Lebensbereiche seiner Untertanen einzugreifen suchte. Exemplarisch dafür stehen seine Eroberungskriege im ehemals römischen Westen (Nordafrika, Südspanien und Italien), die das Imperium Romanum in früherer Größe wiederherstellen sollten, sowie seine großangelegte Kodifizierung des römischen Rechts (»Codex Iuris Civilis«), mit der er ein einheitliches Rechtssystem schaffen und bestehende Missstände beseitigen wollte. Davon zeugen aber aber auch seine überbordende Regulierungswut, mit der er die Gesellschaft nach christlichen Vorgaben neu zu ordnen versuchte, sowie die immense Energie, die er gegen Korruption und Machtmissbrauch in der Verwaltung aufbrachte.

Die Kräfte überstrapaziert

Dass Justinian am Ende scheiterte, lag hauptsächlich daran, dass – wie Heather konstatiert – »weniger der Herrscher seine Epoche als vielmehr die Zeitumstände ihn selbst prägten«. Das große Manko seiner Herrschaft habe darin bestanden, dass der Kaiser keinen Masterplan hatte. Vielmehr hätten seine Maßnahmen in der Außen-, Religions- und Rechtspolitik einen »improvisierten Opportunismus« aufgewiesen, der weitestgehend den momentanen politischen Imperativen des Regimes untergeordnet gewesen sei. Dies galt laut Heather beispielsweise für Justinians ambitionierte Bemühungen darum, das Imperium Romanum in alter Größe und Macht wiederherzustellen (»recuperatio imperii«), was sich letztlich als »Trugbild der Erneuerung« erwiesen habe. Denn die Rückeroberungskriege in Nordafrika, Italien und auf der Iberischen Halbinsel überforderten sowohl die finanziellen als auch die personellen Ressourcen des oströmischen Reichs. Für Heather ist Justinian ein romantischer Visionär, der trotz beachtlicher militärischer Erfolge seitens seiner genialen Feldherrn Belisar und Narses die Kräfte des Reichs überdehnt und dadurch mit dazu beigetragen habe, dass sich äußere Feinde – die Perser und die Krieger des Islams – bereits eine Generation später Ägypten, Syrien und Palästina einverleiben konnten.

Auch religionspolitisch war dem Kaiser kein nachhaltiger Triumph beschieden. Justinian, der seine Stellung und Bestimmung ausschließlich auf Gott zurückführte und sich als wichtigsten Vollstrecker dessen Willens sah, gelang es nicht, die Einheit von Religion und Kirche reichsweit herzustellen. Schuld daran sei sein geradezu messianischer Eifer gewesen, mit dem er gegen »Heiden« vorging, aber auch sein dogmatischer Regulierungsanspruch bei innerchristlichen Fragen, mit dem er die Kirchenspaltungen in Ost und West nur noch beförderte. Heather spricht insgesamt von einem »toxischen Vermächtnis« Justinians, der mit seinem rigorosen Übereifer das Reich militärisch geschwächt und religiös gespalten habe.

Erzählerisch gelungen und analytisch scharf hat Peter Heather ein beeindruckendes und feinkonturiertes Porträt Justinians gezeichnet – eines Kaisers, der sich seiner Aufgabe wie kaum ein anderer Herrscher hingab, gleichzeitig aber so grandios Schiffbruch erlitt wie nur wenige seiner Amtsvorgänger.

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