Wenn das Unglaubliche passiert
Es gibt Menschen, die erzielen zweimal einen Lotto-Hauptgewinn oder werden mehrfach vom Blitz getroffen. Und waren Sie im Urlaub schon einmal auf einem fernen Kontinent in menschenleerer, abgelegener Gegend, und trafen dort zufällig Ihren Nachbarn? So etwas erscheint uns als praktisch unmöglich – und doch passiert es. Wie kann das sein? Hat nicht der berühmte französische Mathematiker Émile Borel (1871-1956) gesagt, dass wir mit hinreichend unwahrscheinlichen Ereignissen im Alltag nicht rechnen müssen?
Der englische Statistiker David Hand zeigt im vorliegenden Buch, warum wir das Unerwartete erwarten sollten. Verantwortlich für das Eintreten extrem unwahrscheinlicher Zufälle macht er nicht Götter oder Wunder, sondern das Unwahrscheinlichkeitsprinzip. Es ergibt sich im Wesentlichen aus fünf Gesetzen, die Hand sorgfältig erklärt und mit vielen Beispielen unterhaltsam veranschaulicht. Dabei verlangt er seinen Lesern keinerlei mathematisches Vorwissen ab. Er legt den Stoff sehr verständlich dar und beschränkt die mathematischen Inhalte auf ein notwendiges Minimum.
Rien ne va plus
Das Gesetz der ganz großen Zahlen (nicht zu verwechseln mit dem Gesetz der großen Zahlen) besagt etwa, dass sogar das äußerst Unerwartete geschieht, sofern es nur genug Gelegenheiten dafür gibt. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie oft die Rouletteräder in den Casinos dieser Welt bereits gedreht wurden (sicher mehr als 137 Millionen Mal), dann ist man nicht mehr so erstaunt darüber, was am 18. August 1913 in Monte Carlo geschah: Damals wurden 26 schwarze Zahlen nacheinander angezeigt – ein Ereignis mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 1 zu 137 Millionen.
Spannend ist auch das Gesetz des Wahrscheinlichkeitshebels. Es besagt, dass eine kleine Veränderung der Begleitumstände eine gewaltige Auswirkung auf die Wahrscheinlichkeit haben kann. Geht man etwa davon aus, dass die Kursschwankungen bei Marktpreisen einer so genannten Normalverteilung genügen, dann liegt die Wahrscheinlichkeit für den Absturz des "S&P-500" Aktienindex, wie er sich am 19. Oktober 1987 ereignete, bei 1 zu 10160 (eine Eins mit 160 Nullen). Ein solcher Crash sollte anschaulich gesprochen nicht einmal dann auftreten, wenn das Universum noch weitere 20 Milliarden Jahre bestehen würde. Lässt man hingegen die Annahme der Normalverteilung fallen und verwendet für die Modellierung die Cauchy-Verteilung, die in Diagrammdarstellung optisch ähnlich aussieht, dann ergeben sich Werte, die den Vorfall so wahrscheinlich machen, dass wir ihn im Laufe eines Menschenlebens erwarten können.
Gar nichts passiert nicht
Zu den weiteren Elementen des Unwahrscheinlichkeitsprinzips gehören das Gesetz von der Unvermeidlichkeit (irgendein Ereignis wird sich mit Sicherheit einstellen, auch wenn für jedes einzelne nur eine winzige Wahrscheinlichkeit besteht) oder das Gesetz von der annähernden Genauigkeit (betrachtet man ähnliche Ereignisse als identisch, erhöht sich die Anzahl der günstigen Fälle und damit die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses). Auch wenn diese Gesetze auf den ersten Blick nicht besonders aussagekräftig anmuten, sind sie doch wirkmächtig. Um dies einsichtig zu machen, führt Hand sehr viele Beispiele und lebensnahe Anekdoten an. Die Leidenschaft für das Thema ist ihm dabei stets anzumerken.
Hand kann mit seiner Begeisterung die Leser durchaus anstecken. Leider besteht jedoch die Gefahr, dass man angesichts der unzähligen Geschichten und Musterfälle irgendwann genug hat. Zwar kann man in einem solchen Fall prinzipiell einige Seiten überspringen. Doch die manchmal unzusammenhängende Darstellung und die mitunter sehr beliebigen Überschriften ("Das Leben, das Universum und Alles") fördern nicht unbedingt den Überblick. Zum Glück enthält der Buchepilog eine gute Zusammenfassung.
Wer leicht verständliche Exkurse in die Mathematik mag, anekdotische Erzählweise zu schätzen weiß und ein Faible für Statistik hat, dem lässt sich das Werk empfehlen.
Schreiben Sie uns!
1 Beitrag anzeigen