Demokratisierung oder Manipulation?
Die Diskussion um den Einfluss von sozialen Medien ist allgegenwärtig: Auf Facebook, Twitter und Co. buhlen die unterschiedlichsten Nachrichten und Meinungen um unsere Aufmerksamkeit. Der Journalist Thomas Amman zeichnet in seinem neuen Buch »Die Machtprobe« komplexe und umfangreiche Informationsbilder zu den weltweiten Entwicklungen der letzten Jahre nach, die von sozialen Medien maßgeblich beeinflusst wurden.
Ein Geschichtsbuch der heutigen Zeit
Dabei blickt er unter anderem auf die Ereignisse um die Wahlen 2016 in den USA und die Rolle von Facebook und Cambridge Analytica sowie auf politische Bewegungen wie »Fridays for Future«. Zudem geht er auf moderne informationssteuernde, personalisierende Algorithmen, den Einfluss globaler Medienfirmen und Staaten und ganz aktuell auf die Entwicklungen rund um Corona ein.
Ammann stellt damit ein Geschichtsbuch der jetzigen Zeit zusammen, das den Leser zeitweise atemlos durch die im schnellen Tempo aneinandergereihten Informationen hinter sich lässt.
Hochaktuell wählt er exemplarische Themen aus und untersucht, wie die Digitalisierung und neue Medienplattformen sich auf die Ereignisse ausgewirkt haben. Soziale Medien können dabei Veränderungsprozesse stark beschleunigen, so dass selbst ohne eine übergeordnete Organisation spontane Bewegungen entstehen können, wie es beim Arabischen Frühling der Fall war. Gleichzeitig kann jeder alles veröffentlichen, wodurch es immer schwieriger wird, zwischen Tatsachen und veränderten oder erfundenen Informationen zu unterscheiden.
Darüber hinaus beleuchtet das Buch ausführlich, wie Internetanbieter und Staaten die Daten der Nutzer sammeln und welche Interessen sie dabei verfolgen. Inzwischen lässt sich selbst bei anonymisierten Daten ein genaues Profil einzelner Personen und Aktivitäten erstellen. Viele Nutzer nehmen die Speicherung und Analyse der Daten allerdings freiwillig hin, da sie dadurch zielgenauer mit personalisierten Inhalten bedient werden.
Doch die Plattformen verfolgen mit der Informationsauswahl in der Regel eigene Ziele, etwa die Vermarktung von Ideen, Meinungen, Produkten oder sogar der Verhaltenssteuerung. Damit behindern sie die eigentliche Chance der sozialen Medien: Dezentralisierung, Demokratisierung und Meinungsvielfalt. Hierdurch und durch die von Ammann bedauerten Skandale in der journalistischen Welt wird es zunehmend schwieriger, angebotenen Nachrichten zu trauen.
Neben den Beschreibungen jüngster Ereignisse finden sich im Buch kurze Kommentare aus Gesprächen, etwa mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Das hilft einzuordnen, was sich aktuell in der Welt der Medien und Kommunikation verändert. Außerdem streut Amman etwas überraschend zwei Interviews ein, in dem Marketingexperten zu Wort kommen, die erfolgreich soziale Medien bespielen.
»Die Machtprobe« verdeutlicht mit geschicktem Storytelling die komplexen Zusammenhänge zwischen sozialen Medien, den dahinter eingesetzten Algorithmen, den Zielen von Personen, Firmen und Staaten sowie deren Einfluss auf unsere Meinungsbildung und der von uns als wahr erlebten Realität. Gleichzeitig zeigt es die Schwierigkeit für Laien, ohne zeitintensive eigene Recherche von Fakten und Quellen eine gesicherte Meinung fassen zu können.
Wer sich Handlungsanweisungen zur eigenen Meinungsbildung und zur digitalen Souveränität im Zeitalter der sozialen Medien wünscht, wird in diesem Buch nur wenige allgemeine Hinweise dazu finden. Wer aber verstehen möchte, was in den letzten Jahren unsere Welt so rasant bewegt hat, kann in dem Werk die Ereignisse, Verläufe und Zusammenhänge konzentriert nachlesen.
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