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»Die Magie der Gemeinschaft«: Wir Trockennasenaffen

Karsten Brensing liefert Erhellendes zu den biologischen Wurzeln von Bewusstsein und Persönlichkeit. Sein Brückenschlag zur künstlichen Intelligenz überzeugt nicht.
Ein Affe tippt auf einem Computer

»Wir werden die Grenzen unseres Denkens ausloten und erfahren, wie wir mit künstlichen Intelligenzen in Gemeinschaft leben können«, erklärt Karsten Brensing im Vorwort seines Buchs. Er lädt seine Leserinnen und Leser ein auf eine »Reise in die Vergangenheit und Zukunft der Menschheit«. Und dann eröffnet der Autor noch weitere Themenfelder, etwa: Wie können wir der Pandemie der Einsamkeit begegnen? Worin gründet Glück? Was ist besser: eine Höhle im Wald oder eine Raumstation auf dem Mars? Außerdem kündigt Brensing an, »einen Blick aufs Spirituelle« werfen zu wollen, und widmet sich der Frage, ob wir bald ewig werden leben können. Und das alles soll sich sinnvoll in einem etwa 300 Seiten starken Buch behandeln lassen?

Eher nicht – und genau das möchte der Autor auch zeigen. Der Meeresbiologe und Verhaltensforscher verdeutlicht, dass wir mit unserem »Steinzeitgehirn« in einer komplexen Welt, die uns mit all diesen Fragen konfrontiert, hoffnungslos überfordert sind. Diese Aussage untermauert er in den spannenden Kapiteln der ersten beiden Buchteile. Dort schildert er die biologischen Wurzeln von Bewusstsein, Persönlichkeit, Gerechtigkeitssinn, Lüge und Kultur. Seine Erläuterungen reichert Brensing mit persönlichen Anekdoten an. So erfährt man im Kontext von »Selbstkontrolle«, dass er beim Schreiben gern zu Zartbitterschokolade greift, und beim Thema »Spiritualität«, dass er eine Vipassana-Schweigemeditation gemacht hat, um seine religiösen Gefühle zu entdecken. Das Fazit des Autors: Verhaltensmuster tierischen Ursprungs steuern den größten Teil unserer Entscheidungen, ohne dass wir uns dessen bewusst wären. Um es mit den Worten des Autors zu sagen: »Wir gehören zu den Trockennasenaffen« und sind »nichts Besonderes«.

Wenn weniger mehr gewesen wäre

Hier hätte das Buch enden können und wäre inhaltlich eine runde Sache gewesen. Doch dann kommt noch der dritte Teil zur künstlichen Intelligenz. Er dürfte, so Brensing, für die meisten Menschen mit den ersten beiden »so wenig zu tun [haben] wie Rhabarberkuchen mit Traktorfahren«. Was ihn jedoch nicht davon abgehalten hat, ihn zu schreiben – entgegen dem Rat seiner Frau und seiner Literaturagentur. Er stellt hier die provokante Frage: Wenn Ameisen den Spiegeltest bestehen, Bienen über sich selbst nachdenken können und Tintenfische einen eigenen Willen haben – muss dann ein künstliches neuronales Netz wirklich so »irrsinnig komplex« sein, um sich fragen zu können: »Wer bin ich, was mache ich hier, und warum soll ich tun, was man mir sagt?« Auf Fragen wie diese liefert der Autor allerdings keine auch nur annähernd so erhellenden Antworten wie in den ersten beiden Teilen seines Buchs. Auch die im Titel beschworene »Magie der Gemeinschaft«, die er als Klammer zwischen Tierreich, menschlichem Dasein und der neuen Welt der künstlichen Intelligenz vorschlägt, bleibt eher eine Metapher ohne große Beschreibungskraft.

So kann man das Buch nur teilweise zur Lektüre empfehlen. Denn so aufschlussreich die Blicke hinter die Kulissen menschlichen Verhaltens in den beiden ersten Teilen sind, so ratlos lässt einen der dritte zurück. Es darf vermutet werden, dass Letzteres nicht unbedingt auf ein überfordertes »Steinzeitgehirn« zurückzuführen ist, sondern eher auf ein etwas zu ambitioniertes Buchkonzept.

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