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»Die Medizin und ihre Feinde«: Die Geschichte von Wissenschaftsskepsis und Impfangst

Impfskepsis ist nicht neu, auch der Pockenimpfung begegneten die Menschen mit Ablehnung. Eine medizinhistorische Spurensuche nach den Gründen.
Eine Frau erhält nach der Impfung ein Pflaster auf die Einstichstelle.

Die beiden Autoren haben es sich mit diesem Buch zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung und Geschichte der Wissenschaftsskepsis zu thematisieren. Anlass waren die Demonstrationen gegen die Covid-Impfungen, die ab Herbst 2021 im deutschsprachigen Raum Fahrt aufnahmen.

Zu Beginn des Buches erfährt der Leser zunächst, dass es die medizinische Forschung an Menschen schon in der Antike schwer gehabt hat. Vor allem die Macht der Religionen spielte eine große Rolle, zum Beispiel beim Verbot von Leichenöffnungen. Aber ohne diese hatten die antiken Gelehrten nicht die Einblicke in den menschlichen Körper, die notwendig waren, um die Behandlung von Krankheiten auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu bauen. So wurden alle Durchbrüche in der Medizin, die heute wissenschaftlich unbestritten sind, wie Impfungen, Hygienemaßnahmen oder auch die Einführung der Anästhesie, zu ihrer Zeit bekämpft. Ein Grund dafür, der auch in den aktuellen Diskussionen immer wieder angeführt wird, ist die Skepsis gegenüber dem Staat.

Und auch in anderen Aspekten ähneln sich die Bedenken der Menschen in den letzten drei Jahrhunderten. Als Leser bekommt man immer wieder das beklemmende Gefühl, dass die Menschheit in all dieser Zeit nicht aus der Geschichte gelernt hat und sich das Verständnis und der »Glauben« an die Wissenschaft kaum geändert haben.

Die Geschichten zur Pockenimpfung lesen sich wie ein Abriss der Diskussionen zur Covid-Impfung. Die ersten »Impfungen«, damals »Inoculationen« genannt, gab es schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Diese waren allerdings um einiges brachialer und gefährlicher als das, was uns heute zur Verfügung steht. So wurde bei den Inoculationen Wundsekret von Erkrankten in die Haut von Gesunden geritzt, wobei die Todesrate bei dieser Impfung bei 3 Prozent lag, was im Vergleich zur Todesrate bei einer Pockenerkrankung von 30 Prozent jedoch eine enorme Verbesserung darstellt. Kaiserin Maria Theresia ließ 1768 nicht nur ihre eigenen Kinder zur Vorbildwirkung impfen, was Erinnerungen an sich öffentlich impfen lassende Politiker weckt. Auch die Eröffnung eines Inoculationshauses und das Nachdenken über Prämien für impfende Ärzte und Impfwillige erinnern nur zu gut an die Diskussionen 250 Jahre später.

Im Zusammenhang mit den Pocken wurde auch erstmals eine Impfpflicht in einigen europäischen Ländern eingeführt, wie beispielsweise 1807 in Bayern. Wobei hier bereits die verbesserte Impfung des britischen Arztes Edward Jenner zum Einsatz kam. Interessant ist, dass Tirol, das auch im Zuge der Corona-Pandemie europaweit in den Medien war, eine besondere Rolle spielte. Da das heutige österreichische Bundesland damals zu Bayern gehörte, galt auch dort die Impfpflicht, zu der sich die österreichischen Herrscher aus Angst vor Aufständen allerdings nicht durchringen konnten. So kursierten beispielsweise in Tirol Theorien, dass Katholiken mit der Impfung »ketzerisches Denken« eingepflanzt werden sollte – eine weitere erschreckende Parallele zu den Ängsten der Impfgegner vor dem Einimpfen von Chips durch Bill Gates.

Der Erfolg der Impfung war damals wie heute mit statistischen Zahlen unwiderlegbar; in Graz waren in den Jahren 1861–1863 beispielsweise 638 Ungeimpfte und 105 Geimpfte an Pocken erkrankt, davon starben 124 Ungeimpfte, aber nur 4 Geimpfte, wie die Grazer Zeitung berichtete. Die Impfgegner wurden damals von dem Blatt als »Impfrenitente« bezeichnet.

Diese beeindruckende Recherche historischer Daten zeichnet das Buch aus. Allgemein liegt der Fokus der beiden Autoren sehr auf ihrem Heimatland Österreich, insbesondere bei den politischen Vorgängen und den Corona-Demonstrationen. Ein Beispiel ist die frühere Bundessprecherin der österreichischen Grünen Madeleine Petrovic, die nicht erst seit der Corona-Pandemie mit einer medizinkritischen Meinung auffiel und während der Pandemie auf zahlreichen Demonstrationen als Sprecherin auftrat.

Natürlich darf in diesem Kontext in Österreich die Rolle der FPÖ in einem solchen Buch nicht unbeleuchtet bleiben, ebenso wenig die österreichische »Impfgegner-Partei« MFG.

Christoph Zielinski lässt als Arzt an verschiedenen Stellen die eigene Erfahrung einfließen und unterstreicht Ausführungen zu beispielsweise der Entwicklung der mRNA-Impfung mit seiner Expertise oder auch zum Aufbau von klinischen Studien in drei Phasen.

Das Buch ist nicht nur für medizinhistorisch Interessierte lesenswert, sondern auch für all jene, die sich fragen, woher die Wissenschaftsskepsis im deutschsprachigen Raum, ganz besonders in Österreich, kommt. Und so wie wir uns im Klaren sein müssen, wie sehr eine Pandemie die Gesellschaft verändert, so müssen wir uns auch vergegenwärtigen, dass die Corona-Pandemie nicht die erste Pandemie für die Menschheit war und vermutlich nicht die letzte.

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