Kaiser und Militärs
Das 20. Jahrhundert ist vor allem von den beiden Weltkriegen geprägt worden. Doch während über die diversen militärischen Akteure des Zweiten Weltkriegs viel bekannt ist, sieht das beim Ersten Weltkrieg anders aus. Die Befehlshaber des damaligen kaiserlichen Heers sind sowohl historisch weniger erforscht als auch der Öffentlichkeit weniger gut bekannt. Hier setzt der Sammelband des Historikers Lukas Grawe an: Seine Autoren beleuchten die Biografien hochrangiger Militärs aus dem Stab Kaiser Wilhelms II. – darunter Personen wie Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff.
Die vorgestellten Charaktere repräsentieren diverse Heeresteile und verschiedene Gattungen wie Luftwaffe, Eisenbahnlogistik oder Nachrichtendienst. Die Lebens- und Wirkzeiten der Porträtierten reichen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Bundesrepublik, wobei der Fokus deutlich auf der wilhelminischen Ära und besonders dem Ersten Weltkrieg liegt.
Technisch aufgeschlossen, politisch erzkonservativ
24 Biografien führt das Buch auf, die je rund 15 Seiten umfassen und in sich geschlossen sind. Im Fokus stehen dabei die militärischen, politischen und moralischen Ansichten des jeweiligen Protagonisten und wie diese vom Kriegsgeschehen beeinflusst wurden. Die Lebensläufe weisen gewisse Gemeinsamkeiten auf, etwa eine nationalistisch-monarchistisch-militaristische Grundhaltung, aber auch Unterschiede hinsichtlich der familiären Herkunft, Konfession und der persönlichen Ambitionen.
Der Aufbau der Biografien ist immer ähnlich und von beinahe lexikalischem Charakter. Sie listen Daten zum Lebenslauf auf, fokussiert auf den militärischen Werdegang, bringen (zu wenige) Abbildungen und sehr selten persönliche Zitate, etwa aus Briefen oder Tagebucheinträgen. Es entsteht der Gesamteindruck einer hochdekorierten, aber mitunter persönlich verfeindeten Führungsriege, die technischen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen, politisch aber erzkonservativ war. Leider setzen die Autoren voraus, dass die Leser solides Vorwissen zu den politischen Systemen des Deutschen Kaiserreichs und dessen Militär mitbringen – wie auch eine gute Kenntnis der Geschehnisse im und vor dem Ersten Weltkrieg. Ohne das wird es schwierig, den Sammelband Gewinn bringend zu lesen.
Obwohl die Autoren durchaus wichtige Personen vorstellen, entsteht kein rechter Anreiz, sich intensiver mit diesen zu befassen. Vielleicht hätten hier gegenseitige Bezüge der Texte geholfen, Zusammenhänge besser zu erkennen. Denn die Akteure standen ja nicht isoliert in der Zeitgeschichte, sondern interagierten miteinander – sie koalierten, protegierten sich oder spannen gegeneinander Intrigen. Auch wäre eine tiefer gehende charakterliche Betrachtung wünschenswert gewesen, etwa in Form psychologischer Resümees. In der Einleitung kündigt das Werk an, die persönlichen Positionen der Protagonisten etwa zu Kriegserklärungen, zum Verlauf des Stellungskriegs oder zur Kriegsschuldfrage zu untersuchen, doch dies wird nicht konsequent verfolgt.
Für etwas Irritation sorgt, wie manche Autoren die militärischen Qualitäten der Protagonisten beschreiben: ohne dabei deutlich zu machen, ob es sich um historische Zitate oder heutige Einschätzungen handelt, und ohne darzulegen, worauf diese Einschätzung beruht. Weiterhin fehlt ein abschließendes Fazit dazu, welche Folgerungen sich aus diesen 24 Biografien ziehen lassen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.