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Die Krise meistern

Die Corona-Pandemie bedroht unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Zusammenleben. Wie der Ökonom Marcel Fratzscher erklärt, ließe sich das durch einen neuen Humanismus abwenden.

Welche Lehren sollten wir aus der Corona-Krise ziehen, um die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig aufzustellen? Wie verwandelt man die aktuellen Herausforderungen zu einem Wendepunkt, der ein neues Zeitalter der Aufklärung einläutet? Der Professor für Makroökonomie und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher sieht in der Corona-Pandemie die größte Bedrohung seit dem Zweiten Weltkrieg – und eine Gefahr für die Spaltung der Weltgemeinschaft, wie er in seinem Buch »Die neue Aufklärung« verdeutlicht.

Humanismus neu gedacht

Darin beschreibt er, wie die Krise die Widersprüche unseres Handelns in Bezug auf Gesellschaft und Gemeinschaft offenlegt. Dem Autor zufolge lassen sich die gegenwärtigen Konflikte nur erfolgreich überwinden, wenn man die zentralen Prinzipien der Aufklärung und des Humanismus neu denkt. Denn die Pandemie weise auf einen längst fälligen Diskurs über den Gesellschaftsvertrag hin.

Dass vor allem jene Länder gut durch die erste Welle gekommen sind, deren Bevölkerungen sich weitestgehend solidarisch verhalten haben, sollte zum Nachdenken anregen: Sollten wir nicht auch in krisenfreien Zeiten zusammenhalten und bereit sein, Opfer zu bringen? Und das nicht nur auf nationaler, sondern gerade auch auf europäischer und internationaler Ebene?

Fratzscher betont, bei der Abwägung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Kosten entscheide man zu oft utilitaristisch. Das, was das Leben lebenswert mache, Sinn und Richtung verleihe, lasse sich aber nicht monetär berechnen. So gilt das Ausmaß dessen, wie stark man die Schwächsten der Gesellschaft schützt, als Gradmesser für die praktizierte Humanität.

Die Maßnahmen und Bemühungen der Bundesregierung, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern, lobt der Autor. Es sei zwar nicht alles perfekt, aber wenn man sich die Situation in den USA mit 40 Millionen Arbeitslosen ansehe, dürfe man dem Bund ein insgesamt effektives Agieren attestieren. Die Angst vor sich auftürmenden Schulden und Inflation sollten die Deutschen hingegen ablegen, so Fratzscher. Zum einen sei eine Deflation nicht nur wahrscheinlicher, sondern auch schädlicher für die deutsche Wirtschaft. Zum anderen könnten sich höhere Ausgaben langfristig selbst finanzieren: »Manchmal ist ein starker Anstieg der Staatsausgaben der beste Weg, solide zu haushalten.« Entscheidend sei jedoch, neben notwendigen Konjunkturpaketen auch zukunftsweisende Investitionen zu tätigen, welche die deutsche Wirtschaft in Bezug auf Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Digitalisierung stärken.

Zudem fordert Fratzscher, der Mitglied des High-Level Advisory Board der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklungsziele ist, die marktwirtschaftlichen Fehlentwicklungen der Globalisierung zu korrigieren. Klimaschutz sei eine Grundvoraussetzung für eine prosperierende Wirtschaft, der Arbeitsmarkt müsse auf die Digitalisierung vorbereitet, Chancengleichheit wiederhergestellt und soziale Ungerechtigkeiten müssten reduziert werden. Die Globalisierung habe viele Menschen abgehängt, wodurch sie das Vertrauen in Staat und Markt verloren haben. Das führe zu Populismus und Protektionismus, so der Ökonom. Die Pandemie verdeutliche aber, dass sich viele Probleme nur gemeinsam, global und durch den kooperativen Austausch von Ideen lösen lassen.

Zuletzt kommt der Autor auf den Konflikt zwischen Wissenschaft auf der einen und Medien und Politik auf der anderen Seite zu sprechen. Dass Erstere während der Corona-Krise so sichtbar ist wie nie zuvor und sich Forscher zu Medienstars entwickelt haben, überrascht ihn nicht: Gegenüber Politikern und Journalisten genießen Wissenschaftler ein deutlich höheres Vertrauen in der Gesellschaft. Dass sich diese stärker in den politischen und gesellschaftlichen Diskurs einbringen, begrüßt der Autor. In einer immer komplexeren und globaleren Welt nimmt die Stimme der Wissenschaft und ihre Aufforderung gegenüber Journalisten und Politikern, Rechenschaft abzulegen, eine wichtige Rolle ein.

»Wirtschaft verstehen« ist das Motto des deutschen Wirtschaftsbuchpreises, für das »Die neue Aufklärung« nominiert war. Fratzscher konnte in seinem Werk die wesentlichen Facetten nationaler und internationaler Widersprüche sowie ihre Zusammengänge leicht verständlich und stringent aufzeigen. Zudem skizziert er Wege aus den sozialen und ökonomischen Dilemmata.

Für den routinierten Zeitungsleser werden allerdings nicht viele neue Erkenntnisse zu finden sein. Vielmehr stößt man sich an den mitunter phrasenhaften Formulierungen, wie »Wenig wird wieder so sein, wie es einmal war…« oder den gebetsmühlenartigen Wiederholungen, die Krise als Chance zu begreifen, sowie an fehlenden Quellenbelegen. An mehreren Stellen wirkt das Buch, als hätte man es unter Zeitdruck etwas nachlässig zusammengefügt. Selbstkritisch erklärt Fratzscher, er sei sich bewusst, wie wenig die Wirtschaftswissenschaften und seine eigene Forschung »die Fragen unserer Zeit« beantworten können. Damit behält er Recht: Was als Plädoyer für einen neuen Humanismus beginnt, verliert im Verlauf des Buchs zunehmend an Substanz.

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